Wenn die Familiengesundheitspflegerin kommt …
„Forschungsoffensive“, Teil 7: Vorstudie des Wittener Lehrstuhls für familienorientierte und gemeindenahe Pflege befürwortet die Einführung des neuen Berufsbildes
„Wir müssen Ideen entwickeln, die über den Bau von Alten- und Pflegeheimen hinausgehen“, betont Dr. Wilfried Schnepp vom Institut für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke. Wilfried Schnepp leitet den Lehrstuhl für familienorientierte und gemeindenahe Pflege. Und gerade hier, in der Orientierung auf die Familie und die vertraute Umgebung, liegen Ansatzpunkte für neue Konzepte. Wie wäre es, wenn eine speziell ausgebildete Fachfrau, oder ein Fachmann, in die Haushalte geht, den Menschen dort mit Rat und Tat zur Seite steht und als Bindeglied zwischen Ärzten, Ämtern und Kassen fungiert? Das wäre gut, sagt eine Studie unter Federführung von Wilfried Schnepp. Die Studie hat untersucht, ob der neue Beruf einer Familiengesundheitspflegerin in Deutschland wünschenswert und realisierbar ist.
Die grundlegenden Strukturen des Berufsbildes der Familiengesundheitspflegerin wurden Ende der 90er Jahre von der europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelt. Im Rahmen des Strategiekonzepts „Gesundheit 21 – Gesundheit für alle“ spricht die WHO von der „Family Health Nurse“, die als Angehörige der Pflegeberufe eine zentrale Rolle in der primären Gesundheitsversorgung einnehmen soll. Diese Fachfrauen – aber natürlich auch speziell ausgebildete männliche Pfleger – können, so die WHO-Definition, „dem einzelnen Menschen und ganzen Familien helfen, mit Krankheit und chronischer Behinderung fertig zu werden und in Stresssituationen zurechtzukommen, indem sie einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im Zuhause der Familien verbringt“. Die WHO sieht die neue Fachkraft als Pflegeexpertin und Gesundheitsmanagerin mit sozialwissenschaftlichen Hintergrund, die auch als Bindeglied zu Ärzten, Ämtern und anderen Einrichtungen fungiert. Die Gesundheitsorganisation hat das neue Konzept allen 51 europäischen Mitgliedsstaaten empfohlen.
Bei den möglichen Umsetzungen des Modells kooperiert die WHO in den einzelnen Ländern mit so genannten Kollaborationspartnern. Der Kollaborationspartner hierzulande ist der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK). Und der DBfK wiederum beauftragte das Institut für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke damit, die Chancen und den Bedarf für eine Family Health Nurse in der deutschen Gesundheitsversorgung auszuloten. Gefördert wurde die Wittener Studie vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung. An dem Projekt nahmen auch Fachleute verschiedener Entscheidungsträger teil. Zu ihnen zählten Vertreter von Bundes- und Landesministerien, Krankenkassen, Pflegeberufsverbänden und der Bundesärztekammer. „Die Experten waren einstimmig der Meinung, dass ein Bedarf für die Familiengesundheitspflegerin in Deutschland besteht und sie eine wesentliche Rolle in den Bereichen Prävention und Gesundheitsförderung einnehmen kann“, resümiert Dr. Wilfried Schnepp, der sich diesem Votum anschließt.
Für die Studie spielten die Fachleute in verschiedenen Szenarien durch, wie die Familiengesundheitspflegerin (FGP) für verschiedene Zielgruppen zum Einsatz kommen kann. In einem der Planspiele unterstützt die FGP einen allein stehenden älteren Herrn bei der Versorgung seiner chronischen Wunde und auch bei der Suche nach einer neuen altengerechten Wohnung. In einem anderen Szenario betreut die Gesundheitspflegerin einen Mehrgenerationenhaushalt, in dem eine schwangere Frau und deren kranke Mutter leben. Der Wittener Pflegewissenschaftler Wilfried Schnepp betont beim Konzept der FGP vor allem auch den „zugehenden“ Ansatz: „Die aufsuchende Betreuung in Form von Hausbesuchen kann wesentlich zum Erhalt der unabhängigen Lebensführung, vor allem bei älteren Menschen beitragen.“ Die Familiengesundheitspflegerin könne durch Beratung, Anleitung und Vermittlung an Experten verhindern, dass ein Mensch pflegebedürftig werde. Falls jemand schon chronisch krank sei, könne sie ihn und seine Familie durch kontinuierliche Begleitung im Umgang mit der Krankheit unterstützen. Die Tätigkeit der FGP solle dabei immer in enger Abstimmung und Kooperation mit anderen Berufsgruppen wie zum Beispiel Hausärzten und Pflegediensten geschehen.
Nach der positiven Einschätzung des Bedarfes und der Realisierbarkeit einer Familiengesundheitspflegerin in Deutschland werden voraussichtlich ab Herbst dieses Jahres die ersten dieser neuen Fachkräfte ausgebildet. Die Ausbildung ist eine Weiterbildung, die sich an erfahrene Berufstätige aus der Gesundheits- und Krankenpflege, Kinderkranken- und Altenpflege und aus dem Hebammenwesen richtet. Das Wittener Institut wird das Weiterbildungsprojekt wissenschaftlich begleiten. Das Augenmerk gilt dabei auch dem Verbleib der Absolventen. Details zum Kurs und zur Anmeldung finden Weiterbildungsinteressierte unter: www.familiengesundheitspflege.de.
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