Magnetische Quantenflüssigkeit: Extrem flüssig auf zwei Arten

Experimenteller Aufbau zum Nachweis der Koexistenz von Supraflüssigkeiten in ultrakalten Atomwolken der Forschungsgruppe „Synthetische Quantensysteme“. | © Florian Freundt (Heidelberg)

Heidelberger Physiker weisen die Koexistenz von Supraflüssigkeiten in ultrakalten Atomwolken nach.

In ultrakalten Atomwolken können zwei Supraflüssigkeiten gleichzeitig existieren. Ihre Koexistenz konnte bislang experimentell noch nicht beobachtet werden. Physiker der Universität Heidelberg haben nun jedoch eine solche magnetische Quantenflüssigkeit – sie ist auf zwei Arten flüssig – in einem atomaren Gas nachgewiesen. Den Forschern um Prof. Dr. Markus Oberthaler ist es gelungen, diesen Zustand in extrem gekühlten Rubidium-Atomwolken zu präparieren und im Detail zu charakterisieren. Ihre Forschungsergebnisse wurden im Fachjournal „Nature Physics“ veröffentlicht.

Flüssigkeiten, wie wir sie aus dem täglichen Leben kennen, fließen nicht ohne Widerstand. Es bedarf großer Pumpen und Turbinen, um Wasser zu bewegen, der Honig fließt nur zäh vom Löffel. Dies liegt an der inneren Reibung der Flüssigkeit, durch die letztlich Energie aus der Bewegung in Wärme umwandelt wird. In einer Quantenflüssigkeit kann das grundlegend anders sein – und dies ist eng verknüpft mit dem Phänomen der Bose-Einstein-Kondensation.

Ein Bose-Einstein-Kondensat (BEC) ist ein spezieller quantenmechanischer Zustand eines atomaren Gases, der bei sehr kalten Temperaturen erreicht wird. Eine Wolke von einzelnen Atomen in diesem Zustand verhält sich dann kollektiv wie eine einzige Flüssigkeit. Diese Quantenflüssigkeit hat die Eigenschaft, dass sie reibungslos fließen kann – sie ist supraflüssig. In den vergangenen Jahrzehnten wurden, so Prof. Oberthaler, atomare Bose-Einstein-Kondensate schon aus ganz unterschiedlichen Atomsorten wie Natrium und Rubidium erzeugt, neuerdings aber auch aus „exotischeren“ Atomen wie Erbium und Dysprosium.

Die meisten dieser Atome weisen aber auch interne Freiheitsgrade auf – sie haben einen Spin und verhalten sich wie kleine Magnete. Prinzipiell kann es auch hier zum Phänomen einer Bose-Einstein-Kondensation kommen, was bisher aber noch nicht experimentell beobachtet werden konnte, wie Markus Oberthaler, Wissenschaftler am Kirchhoff-Institut für Physik, erläutert. Dieser Nachweis war nun mit einer ultrakalten Wolke aus Rubidium-Atomen möglich.

Üblicherweise wird ein Bose-Einstein-Kondensat durch sogenanntes Verdampfungskühlen erzeugt. Das funktioniert wie das Kühlen des Kaffees in einer Tasse durch Pusten: Die schnellsten Atome an der Oberfläche des Kaffees werden weggeblasen, und dann wird abgewartet bis die restlichen Atome bei einer kälteren Temperatur zur Ruhe kommen. Dies ist für den Spin sehr schwierig, weshalb die Heidelberger Physiker einen anderen Weg wählten.

„Wir haben das System stark aus dem Gleichgewicht gebracht und gewartet, bis die Rubidium-Atome einen neuen Gleichgewichtszustand erreicht haben. Was zunächst als wenig intuitiver Weg erscheint, stellte sich als sehr effizient heraus“, sagt Dr. Maximilian Prüfer. Der Erstautor der Studie war Mitglied in Prof. Oberthalers Forschungsgruppe und forscht nun an der Technischen Universität Wien (Österreich).

Um diesen Zustand zu erzeugen und aufzuspüren, nutzten die Forscher neuartige, eigens hierfür entwickelte Detektions- und Perturbationsmethoden. Sie beobachteten, dass nicht nur der Bewegungsfreiheitsgrad supraflüssig wurde, sondern auch der Spin. Damit können magnetische Quantenflüssigkeiten auf zwei Arten extrem flüssig sein. „Unsere neuen Forschungsmethoden erlauben uns nicht nur, das Kondensat zu charakterisieren, sondern in Zukunft auch den Weg aus dem Nichtgleichgewicht dorthin genauer zu verstehen“, so Markus Oberthaler, Leiter der Forschungsgruppe „Synthetische Quantensysteme“ und mit seiner Gruppe Mitglied im Exzellenzcluster STRUCTURES der Universität Heidelberg.

Die Experimentalphysiker arbeiteten mit der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Jürgen Berges am Institut für Theoretische Physik zusammen, um die theoretischen Vorhersagen für die experimentell beobachtbaren Größen zu berechnen. Für die Übereinstimmung der Berechnungen mit den Ergebnissen des Experiments musste eine extrem kalte Temperatur angenommen werden. „Das hat uns alle überrascht und wird das Thema weiterer Untersuchungen sein, um diese unabhängig zu überprüfen“, so die Autoren des Nature-Physics-Paper.

Die Arbeiten wurden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1225 „Isolierte Quantensysteme und Universalität unter extremen Bedingungen“ (ISOQUANT) der Universität Heidelberg durchgeführt.

Kontakt:
Universität Heidelberg
Kommunikation und Marketing
Pressestelle, Telefon (06221) 54-2311
presse@rektorat.uni-heidelberg.de

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Markus Oberthaler
Kirchhoff-Institut für Physik
Telefon (06221) 54-5170
markus.oberthaler@kip.uni-heidelberg.de

Originalpublikation:

M. Prüfer, D. Spitz, S. Lannig, H. Strobel, J. Berges & M.K. Oberthaler: Condensation and thermalization of an easy-plane ferromagnet in a spinor Bose gas. Nature Physics (13 October 2022), https://doi.org/10.1038/s41567-022-01779-6

Weitere Informationen:

http://www.kip.uni-heidelberg.de/synqs – Forschungsgruppe Oberthaler
http://www.thphys.uni-heidelberg.de/~berges –Forschungsgruppe Berges

https://www.uni-heidelberg.de/de/newsroom/magnetische-quantenfluessigkeit-extrem-fluessig-auf-zwei-arten

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