Mit voller Kraft: MHH-Forscher züchten funktionelles menschliches Herzgewebe
Wissenschaftlern der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) ist es erstmals gelungen, aus Stammzellen funktionelles menschliches Herzmuskelgewebe zu züchten. Die Forscher um Professor Dr. Ulrich Martin, Leiter der Leibniz Forschungslaboratorien für Biotechnologie und künstliche Organe (LEBAO), MHH-Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie, verwendeten die vom Nobelpreisträger Yamanaka entwickelte Technologie der induziert pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen).
Diese aus Haut- oder anderen Körperzellen abstammenden iPS-Zellen sind pluripotent: Sie können also alle Zellen des Körpers bilden. Die Forscher beeinflussten die iPS-Zellen so, dass sie sich in Herzmuskelzellen verwandelten. Anschließend reinigten sie die von iPS-Zellen abgeleiteten Herzmuskelzellen mithilfe einer genetischen Modifikation besonders gründlich auf, sodass ausschließlich reine Herzzellen zur Züchtung des Gewebes übrigblieben.
Alle pluripotenten Zellen sortierten sie aus, um eine Tumorentstehung zu vermeiden. „Wir konnten mit den von uns verwendeten Methoden ein deutlich stärkeres Gewebe herstellen als bisher möglich und sind damit von der technischen Seite her einem klinischen Einsatz einen großen Schritt näher gekommen“, sagt Professor Martin, der auch stellvertretender Koordinator des Exzellenzclusters REBIRTH (Von Regenerativer Biologie zu Rekonstruktiver Therapie) ist.
Die jetzt in der Fachzeitschrift „European Heart Journal“ veröffentlichte Studie adressiert damit eine der großen Herausforderungen der Herzgewebezucht: Aus einzelnen Zellen eine sich synchron zusammenziehende Muskelfaser zu bilden, deren Kraft natürlichem Gewebe entspricht. Bisher war es Forschern weltweit zwar gelungen Herzgewebe aus Stammzellen herzustellen, dessen kontrahierende Eigenschaften entsprachen aber bei Weitem nicht denen von natürlichem Herzgewebe.
„Wir haben sowohl ein neues Konzept zur Gewebebildung benutzt, als auch eine neue Strategie zur Gewebestimulation und konnten damit die kontrahierende Kraft des Gewebes erheblich steigern“, erklärt Dr. Ina Gruh, Leiterin der Arbeitsgruppe „Myokardiales Tissue Engineering“ des Exzellenzclusters REBIRTH. „Herzmuskelzellen sind extrem empfindlich, wenn sie aus ihrem natürlichen Gewebeverband herausgelöst werden. Deshalb haben wir bewusst vermieden sie wie üblich als einzelne Zellen für die Gewebebildung einzusetzen. Stattdessen werden die Herzmuskelzellen direkt in dreidimensionalen Aggregaten gezüchtet und aufgereinigt. Wir haben herausgefunden, dass diese Aggregate anschließend zu einem strukturell und funktionell gleichmäßigen Zellverband zusammen wachsen können.“ Über 28 Tage beobachteten die Forscher diese Zellverbände bei unterschiedlichen Bedingungen. Dabei stellten sie fest, dass drei Faktoren maßgeblich für die Gewebebildung sind: die Zugabe von Bindegewebszellen und Vitamin C, die den Aufbau der extrazellulären Matrix und die Verschmelzung der Aggregate fördern, und eine zunehmende Dehnung, die die Muskelbildung stimuliert. Für Letzteres entwickelten die Forscher einen speziellen Bioreaktor, in dem die Gewebe eingespannt und dann kontrolliert mechanisch gedehnt wurden.
„Im Gegensatz zu bisherigen Therapieansätzen könnte es mit diesem künstlichen Gewebe möglich sein, vernarbte Strukturen zu ersetzen, wie sie beispielsweise bei einem Herzinfarkt entstehen, oder angeborene Missbildungen des Herzens bei Kleinkindern zu rekonstruieren“, sagt Professor Dr. Axel Haverich, Leiter der Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie. Zur Herstellung der Gewebe benutzen die Forscher keine tierischen Zusatzstoffe – eine wichtige Voraussetzung für eine klinische Anwendung. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg: Um größere Gewebe zu erzeugen, müsste es mit Blutgefäßen durchzogen sein. Auch die Herstellung der iPS-Zellen und die Sortierung der Herzzellen müsste noch weiter verbessert werden. Schon in naher Zukunft sollen die erzeugten Herzgewebe jedoch für das Testen von Medikamenten und die Erforschung der Grundlagen verschiedener Herzerkrankungen verwendet werden. So können an den Geweben im Labor zum Beispiel bestimmte mechanische Aspekte von angeborenen Herzerkrankungen und das Regenerationsvermögen des Herzmuskels untersucht werden.
Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Dr. Ulrich Martin, Telefon (0511) 532-8821, martin.ulrich@mh-hannover.de.
Die Originalpublikation „Murine and human pluripotent stem cell-derived cardiac bodies form contractile myocardial tissue in vitro“ finden Sie unter folgendem Link:
http://eurheartj.oxfordjournals.org/content/early/2012/10/26
/eurheartj.ehs349.abstract
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