Material für verformbare elektrische Leiter entwickelt

Doktorand Igor Barg (von links) und die Nachwuchsgruppenleiter Stefan Schröder und Fabian Schütt haben das Material für den elastischen Stromleiter entwickelt.
Foto: Julia Siekmann, Uni Kiel

Nano-Isolierung ermöglicht Bauteile für Softrobotik und flexible Elektronik.

Klassische Roboter, wie sie in der Industrie eingesetzt werden, können schwere Lasten stemmen und automatisierte Vorgänge präzise wiederholen, zum Beispiel in Fertigungsanlagen. Doch für feinmotorische Tätigkeiten und die Interaktion mit Menschen sind sie zu starr und zu schwerfällig. Das Forschungsfeld der Softrobotik arbeitet an Robotern aus weichen, organischen Materialien und flexiblen technischen Bauteilen. Materialforschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben jetzt ein neuartiges flexibles, elektrisch leitfähiges Material entwickelt. Im Gegensatz zu konventionellen weichen Leitern bleiben seine elektrischen Eigenschaften auch dann unverändert, wenn es stark verformt wird. Gründe hierfür sind der besondere Aufbau des Materials und seine extrem dünne Nano-Beschichtung. Seine Ergebnisse veröffentlichte das Forschungsteam in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Advanced Functional Materials.

Elektrischer Widerstand bleibt konstant

Mechanische Tests machen deutlich, wie leicht das unbeschichtete Material (rechts) dauerhaft verformt wird. Im Vergleich dazu ist das beschichtete Material (links) deutlich elastischer. (Maßstab in blau: 6mm)
© Adaptiert nach Igor Barg et. al, Adv. Funct. Mater. 2023, 2212688 (CC BY 4.0)

Im Gegensatz zu klassischen Robotern können Menschen und Tiere fließende und feinmotorische Bewegungen ausführen und an ihre Umgebung anpassen. Inspiriert von der Natur setzt die Softrobotik daher auf nachgebende, organische Materialien aus Kohlenstoff statt auf herkömmliche, starre Metalle. Außerdem brauchen „softe“ Roboter elastische elektrische Leiter für die Kommunikation zwischen ihren Sensoren und Aktoren. „Herkömmliche Leiter aus Metall leiten Strom natürlich gut, sind aber zu starr für den Einsatz in flexiblen Bauteilen. Werden sie verformt, ändern sie ihren elektrischen Widerstand und das beeinträchtigt ihren Einsatz in der Softrobotik“, so Dr. Fabian Schütt, Leiter der Nachwuchsgruppe „Multiscale Materials Engineering“ am Lehrstuhl für Funktionale Nanomaterialien der CAU.

Der Widerstand des Materials, das Schütt gemeinsam mit Kollegen am Institut für Materialwissenschaft der CAU entwickelt hat, bleibt dagegen konstant, auch wenn es verformt wird. „Auch nach 2.000 Langzeittests, bei denen wir das Material um bis zu 50 Prozent komprimiert haben, blieben seine elektrischen und mechanischen Eigenschaften erhalten“, sagt Igor Barg, Doktorand am Lehrstuhl für Materialverbunde und Erstautor des Artikels. Durch die Kombination verschiedener Expertisen im Rahmen des CAU-Forschungsschwerpunkts KiNSIS (Kiel Nano, Surface and Interface Science) ist ein Material aus feinen, miteinander verbundenen Drähten entstanden, das optisch einem dunklen Schwamm ähnelt. Grundlage sind winzige Röhren aus einem elektrisch leitfähigen Polymer. Diese filigrane Netzwerkstruktur macht das Material ultraleicht und gleichzeitig extrem elastisch.

Nano-Isolierung schützt elektrische Eigenschaften des Materials

„Verformbare, schwammartige Leiter werden bereits seit einigen Jahren erforscht. Aber sobald sie verformt werden, verändert sich auch bei ihnen der Widerstand, aufgrund des sogenannten piezoresistiven Effekts“, erklärt Barg weiter. Um diesen Effekt zu umgehen, beschichtete das Team das Material mit einem nicht leitfähigen, extrem dünnen Polymerfilm, der wie eine Isolierung funktioniert. „Das kann man sich wie bei einem klassischen Stromkabel vorstellen“, sagt Barg. Die Schicht verhindert, dass die Drähte beim Komprimieren in direkten Kontakt miteinander kommen und neue elektrisch leitende Pfade entstehen. So bleibt der Widerstand selbst bei einer starken Verformung konstant. Außerdem verbessert die Isolierung die mechanische Stabilität der Drähte und schützt ihre elektrischen Eigenschaften vor äußeren Einflüssen wie Feuchtigkeit.

Um ein so filigranes Netzwerkmaterial – die Wissenschaftler sprechen von einer „hochporösen Gerüststruktur“ – mit einem isolierenden Polymerfilm zu beschichten, braucht es eine besondere Methode. Dr. Stefan Schröder, Leiter der Nachwuchsgruppe „Functional CVD Polymers“ am Lehrstuhl für Materialverbunde, arbeitet mit der sogenannten initiierten chemischen Gasphasenabscheidung (initiated Chemical Vapor Deposition, iCVD). Damit lassen sich auch Materialien mit komplexen Strukturen und Oberflächen beschichten. In einer Reaktionskammer bringt Schröder verschiedene Gase zusammen und setzt so eine chemische Reaktion in Gang: Auf dem zu beschichtenden Material beginnt ein dünner Polymerfilm zu wachsen. „Diese Beschichtung ist nur wenige Nanometer dünn. Deshalb bleiben die Drähte beweglich und das Gewicht des gesamten Materials nimmt kaum zu“, erklärt Schröder.

Auch Anwendungen in der Medizintechnik und Energiespeicherung denkbar

„Dieses Beispiel zeigt sehr gut, wie wir durch eine nanoskalige Beschichtung die Eigenschaften unserer bis zu mehreren Kubikzentimeter großen Gerüststrukturen gezielt verändern und sogar ganz neue Funktionen schaffen können“, sagt Schütt. „Durch die Kombination unserer Methoden sind perspektivisch noch weitere, auch kommerzielle, Anwendungen denkbar, zum Beispiel in der Medizintechnik oder der Energiespeicherung“, ergänzt Schröder. Diese Möglichkeiten wollen sie jetzt in weiteren gemeinsamen Forschungsprojekten untersuchen.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Lehrstuhl für Funktionale Nanomaterialien
Institut für Materialwissenschaft
http://www.tf.uni-kiel.de/matwis/fnano/de

Lehrstuhl für Materialverbunde
Institut für Materialwissenschaft
http://www.tf.uni-kiel.de/matwis/matv

Originalpublikation:

Igor Barg, Niklas Kohlmann, Florian Rasch, Thomas Strunskus, Rainer Adelung, Lorenz Kienle, Franz Faupel, Stefan Schröder, Fabian Schütt: Strain-invariant, Highly Water Stable All-organic Soft Conductors Based on Ultralight Multi-layered Foam-like Framework Structures, Adv. Funct. Mater. 2023, 2212688. https://doi.org/10.1002/adfm.202212688

Weitere Informationen:

http://www.uni-kiel.de/de/044-softrobotik Link zur Meldung
http://www.kinsis.uni-kiel.de Forschungsschwerpunkt KiNSIS (Kiel Nano, Surface and Interface Science) der CAU
Kompressionstest im Video

http://www.uni-kiel.de/de/universitaet/detailansicht/news/262-nanogradient Pressemitteilung zum iCVD-Verfahren vom 03.11.2020
http://www.uni-kiel.de/de/universitaet/detailansicht/news/248-aerographen Pressemitteilung zum Gerüstmaterial vom 15.11.2021

Media Contact

Eva Sittig Presse, Kommunikation und Marketing
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Materialwissenschaften

Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Artikel über die Materialentwicklung und deren Anwendungen, sowie über die Struktur und Eigenschaften neuer Werkstoffe.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Durchbruch bei CRISPR/Cas

Optimierte Genschere erlaubt den stabilen Einbau von großen Genen. Großer Fortschritt an der CRISPR-Front. Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie (IPB) ist es erstmals gelungen, sehr effizient große Gen-Abschnitte stabil und…

Partner & Förderer