Magnetismus am Limit

Internationales Forscherteam weist Ferromagnetismus in Nanodrähten nach, die nur ein Atom dick sind / Neue Perspektiven auf dem Weg zum Terabitspeicher

Einzelne Atome manipulieren und eindimensionale Nanostrukturen mit atomarer Präzision gezielt herstellen und präzise untersuchen zu können, gehört zu den Zukunftstechnologien, die derzeit aus der Grundlagenforschung hervorgehen. Aus der theoretischen Physik weiß man, dass eine ideale, unendlich lange Kette von Atomen, ein Nanodraht, bei Temperaturen über dem absoluten Nullpunkt keine ferromagnetische Ordnung ausbilden kann. Eine internationale Physiker-Gruppe um Prof. Klaus Kern, Direktor am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung und Professor an der ETH Lausanne, hat jetzt erstmals Ferromagnetismus auch in solchen Nanodrähten beobachtet, was auf deren endliche Länge und die beträchtliche magnetische Anisotropieenergie zurückgeführt wird (Nature, 21. März 2002). Dieser Nachweis hat weitreichende Konsequenzen für das Design und die Eigenschaften magnetischer Nanostrukturen, z.B. in der Datenspeicher-Technologie.

Wer hat nicht als Kind die Faszination gespürt, die von der unsichtbaren, aber starken Kraft ausgeht, mit der sich zwei Magnete anziehen? Die Menschen kennen und nutzen den Magnetismus bereits seit mehr als 3000 Jahren. Im modernen täglichen Leben wenden wir magnetische Effekte in elektrischen Motoren, Transformatoren und Telefonen an; auf Kreditkarten und in Computern speichern wir digitale Daten mit magnetischen Materialien. Trotzdem ist das fundamentale Verständnis des Magnetismus – selbst in den einfachsten Materialien – immer noch unvollständig.

Heute weiß man, dass die magnetischen Eigenschaften eines Materials wesentlich von seinen Elektronen bestimmt werden. Einzelne Atome, in denen sich Spin- und Bahndrehmoment seiner Elektronen nicht zu null summieren, verhalten sich wie kleine Stabmagnete, wie magnetische Dipole. Die „Stärke“ dieses magnetischen Dipols bezeichnet man als magnetisches Moment des Atoms. In einem Festkörper, der aus vielen Atomen besteht, müssen jedoch noch zwei weitere Bedingungen für ein ferromagnetisches Verhalten erfüllt sein: Zum einen dürfen die Atome nicht ihr magnetisches Moment verlieren, wenn sich ihre äußeren Elektronen mit denen benachbarter Atome überlagern. Zum anderen muss sich jedes einzelne atomare Moment parallel zu dem seiner Nachbaratome orientieren, so dass sich in der Summe eine Magnetisierung des ganzen Festkörpers ergibt.

Die erste Bedingung ist nur selten – bei wenigen chemischen Elementen und Verbindungen – erfüllt: Dazu gehören neben Eisen, Nickel und Kobalt auch einige Selten-Erdmetalle sowie ihre Legierungen. Die zweite Bedingung, die parallele Ausrichtung, wird in diesen Materialien durch die so genannte Austauschwechselwirkung vermittelt, ein rein quantenmechanischer Effekt, der benachbarte Spins gerade so miteinander koppelt, dass sie sich bevorzugt parallel ausrichten. Die Stärke dieser Austauschwechselwirkung hängt wiederum von der Anzahl der benachbarten Atome und von der Temperatur ab.

Steigt die Temperatur, wird die Spinausrichtung erschwert oder ganz verhindert. Alle Ferromagneten verlieren ihre magnetischen Eigenschaften bei einer bestimmten Schwellentemperatur, der so genannten Curie-Temperatur, die von Material zu Material unterschiedlich ist. Verglichen mit dreidimensionalen Festkörpern reagiert der Magnetismus in zweidimensionalen Dünnschichtsystemen sehr viel empfindlicher auf Temperaturänderungen, vor allem wegen der reduzierten Anzahl von Nachbaratomen, die zur Austauschwechselwirkung beitragen. Doch für den Extremfall einer unendlich langen, eindimensionalen, linearen Kette von Atomen besagt das Ising-Modell (benannt nach dem Physiker Ernst Ising, 1900-1998), dass thermische Anregungen bei endlicher Temperatur sofort die Ausrichtung der Spins in einer atomaren Kette zerstören und damit den Ferromagnetismus verhindern würden.

Die Fortschritte bei der kontrollierten Materialsynthese aus atomaren Grundbausteinen erlaubt es jetzt, die theoretischen Vorhersagen für solche idealen, niedrigdimensionalen Systeme mit experimentellen Messungen im Labor zu vergleichen. Aus diesem Vergleich ergeben sich sowohl grundlegende Erkenntnisse als auch Konsequenzen für die Konzeption neuartiger nanomagnetischer Strukturen mit Eigenschaften, wie sie dreidimensionale Materialien nicht bieten können. Zweidimensionale Systeme, wie epitaktische Schichten oder so genannte Übergitter, finden bereits zahlreiche Anwendungen in der Datenspeicherung und der Magnetsensor-Technologie. Im Wettlauf zu immer kleineren Strukturen führt die Anwendung von modernen Strukturierungsverfahren, die mit atomarer Präzision durchgeführt werden, in Dimensionen, in denen die Größe der Struktur und die Reichweite der Austauschwechselwirkung zwischen den Atomen vergleichbar sind. Welche Auswirkungen hat dies auf die Magnetisierbarkeit der Nanostrukturen? Kann man das Wechselspiel von atomarer Struktur und Austauschwechselwirkung kontrollieren und gewinnbringend für die Erzeugung von Strukturen mit maßgeschneiderten magnetischen Eigenschaften einsetzen?

Ein internationales Forscherteam, dem auch Dr. Pietro Gambardella, ETH Lausanne, Prof. W. Eberhardt, Forschungszentrum Jülich sowie Dr. Carlo Carbone, Nationaler Forschungsrat Italiens, angehören, beschreibt in „Nature“ erstmalig das magnetische Verhalten eines Materialsystems, das auf seine niedrigste geometrische Form reduziert ist – auf eine eindimensionale atomare Kette. Diese Ketten aus einzelnen Kobaltatomen stellten die Forscher mittels selbstorganisiertem Wachstum her, einer Methode, die in der Gruppe von Prof. Kern entwickelt wurde. Dabei bilden Atome, die unter genau definierten Bedingungen auf eine Kristalloberfläche aufgebracht werden, Muster von Nanostrukturen, deren Geometrie experimentell kontrolliert werden kann. Um die notwendige Genauigkeit bei der Untersuchung solch kleiner Objekte zu erreichen, haben die Forscher Millionen parallel verlaufender atomarer Ketten durch Aufdampfen von Kobalt-Atomen auf eine regelmäßig gestufte Platin-Oberfläche hergestellt. Diese Platin-Stufen binden – wie eine Gussform – die Kobaltatome zu perfekten eindimensionalen atomaren Ketten.

„Abb.: Ketten aus einzelnen Kobalt-Atomen an den Stufen einer Platin-Oberfläche, aufgenommen mit dem Rastertunnelmikroskop. Der mittlere Abstand zwischen den Kobalt-Ketten beträgt nur 20 Å.“ „Foto: Max-Planck-Institut für Festkörperforschung“

Die magnetischen Eigenschaften dieser Kobaltdrähte untersuchten die Forscher an der Europäischen Synchrotron-Strahlungsquelle ESRF in Grenoble. Mit Hilfe der so genannten „Röntgenzirkulardichroismus-Spektroskopie“ gelang es den Forschern, in den atomaren, eindimensionalen Kobaltketten – je nach Probentemperatur – eine kurz- bzw. langreichweitige räumliche ferromagnetische Ordnung nachzuweisen. Die Ketten bestehen aus einzelnen, thermisch fluktuierenden ferromagnetisch gekoppelten Atomen, die dank der magnetischen Anisotropieenergie unterhalb einer Schwellentemperatur von 10 K in einen langreichweitig geordneten Zustand übergehen. Die Anisotropieenergie wirkt als Barriere, welche die Magnetisierung in eine bestimmte Vorzugsrichtung orientiert. Im vorliegenden Fall kann diese Barriere unterhalb der Schwellentemperatur von 10 K nicht mehr durch thermische Agitation überwunden werden.

Die Wissenschaftler stellten fest, dass die eindimensionalen Kobalt-Drähte im Vergleich zu Festkörpern und dünnen Schichten sehr große lokale magnetische Bahndrehmomente und magnetische Anisotropieenergien aufweisen. Schlüssel zum Erfolg des Experiments ist die enge Zusammenarbeit zwischen Nanophysikern und Spezialisten für die magnetische Spektroskopie sowie die hohe Empfindlichkeit moderner Synchrotron-Strahlungstechniken.

Die Forschungsergebnisse sind nicht nur von Bedeutung für das fundamentale Verständnis des Magnetismus in niedrigdimensionalen Systemen, sondern haben auch wichtige Auswirkungen auf die magnetische Datenspeicher-Technologie. Zur Zeit werden mehr als 105 Atome (Spins) für die stabile magnetische Darstellung eines Bits auf der Festplatte eines Computers benötigt. Könnte diese Zahl drastisch reduziert werden, ließe sich die Speicherdichte entsprechend steigern. Doch wo ist die Grenze für eine solche Miniaturisierung? Prof. Kern meint dazu: „In unseren Experimenten haben wir gezeigt, wie durch Verringerung der Koordination der magnetischen Atome der Wert für die magnetische Anisotropieenergie um zwei Größenordnungen, im Vergleich zu den Werten üblicher Übergangsmetallsysteme, gesteigert werden kann. Da die Anisotropieenergie für atomare Kobalt-Ketten so hoch ist, könnten in maßgeschneiderten Nanostrukturen bereits einige hundert Kobaltatome genügen, um ein bei Raumtemperatur stabiles magnetisches Bit zu erzeugen. Das wären brillante Aussichten für den Wettlauf zum Terabitspeicher.“

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Prof. Klaus Kern
Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
Heisenbergstr. 1
70569 Stuttgart Tel.: 07 11 / 6 89 – 16 60 Fax: 07 11 / 6 89 – 16 62 E-Mail: klaus.kern@fkf.mpg.de

Media Contact

Dr. Andreas Trepte idw

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de/pri02/pri0218.htm

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