Die "Lernende Region" als Lösung für Strukturdefizite der Weiterbildung

4. DIE-Forum Weiterbildung am 3./4. Dezember 2001

Dr. Ute Lanzendorf

In der Weiterbildung konzentriert sich der Blick in jüngster Zeit zunehmend auf die Region. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei nicht mehr der Planungsraum Region – vielmehr wird die Region als soziale Selbstorganisationseinheit verstanden: Netzwerkartige oder kooperative Zusammenschlüsse von räumlich benachbarten Weiterbildungsanbietern mit ansässigen Bildungsnachfragern und weiteren Akteuren vor Ort versprechen Lösungsansätze für die allseits diagnostizierten Strukturdefizite der Weiterbildung. Regionale Akteursnetze sind zum Hoffnungsträger für nachhaltige Modernisierung und Innovation geworden; sie gelten als Ausgangspunkt „Lernender Regionen“, denen die Fähigkeit zugeschrieben wird, ganzheitliche Gestaltungsansätze für die Weiterbildung zu entwickeln. Auch beim nunmehr 4. DIE-Forum Weiterbildung, zu dem das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) am 3./4. Dezember 2001 nach Frankfurt/Main eingeladen hatte, stand die „Lernende Region“ im Mittelpunkt. Besonders aktuell und relevant war das Thema auch deshalb, weil im Sommer 2001 das Programm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) startete. Über 50 regionale Netzwerke nehmen an dem Programm teil, für dessen wissenschaftliche Begleitung (Leitung Prof. Dr. Dr. h. c. Ekkehard Nuissl von Rein, DIE-Direktor) das Leibniz-Institut Ende 2001 den Zuschlag erhielt.

Das Konzept der Lernenden Region greifbar zu machen, das Pro und Kontra entsprechender politischer Strategien zu diskutieren und auszuloten, wie der Netzwerkansatzes operationalisiert werden kann – dies waren die Zielsetzungen des 4. DIE-Forums Weiterbildung, das wegen des bevorstehenden Umzugs des DIE nach Bonn letztmalig in Frankfurt/M. stattfand. Wie in den Vorjahren auch, brachte es Fachleute aus Praxis, Wissenschaft und Politik zu einem intensiven Austausch zusammen. Die Zahl der Anmeldungen überstieg die verfügbaren Kapazitäten deutlich, Absagen waren erforderlich.

Das Programm der beiden Forumstage gliederte sich in drei einander ergänzende Themenschwerpunkte; sie wurden jeweils im Rahmen einer Podiumsdiskussion behandelt und anschließend durch Fragen und Statements aus dem Plenum vertieft: „Interessen – Akteure – Politik“, „Periphere Regionen“ und „Gestaltung regionaler Netzwerke“. Vertreter von Bund und Ländern nahmen Stellung zu dem BMBF-Programm „Lernenden Regionen – Förderung von Netzwerken“, eine Abschlussrunde eröffnete Raum für eine grundsätzliche Reflexion über Bildung im Kontext der Region.

Interessen – Akteure – Politik – Gibt es gemeinsame regionale Perspektiven?

Um Lernende Regionen aufzubauen, müssen sich all diejenigen Akteure vor Ort über gemeinsame Interessen austauschen, die im weiteren Sinne einen Bezug zur (Weiter-)Bildung aufweisen. Auf der Basis dieser Grundannahme diskutierten unter der Moderation von Gerhard Reutter, DIE, auf dem Podium MinDirig. Dr. Friedrich Baptist, Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Ute Mankel, Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung (Bottrop), Dr. Helmut Ernst, Ausbildungszentrum Schwerin, und Charlotte Venema, Vereinigung hessischer Unternehmerverbände e.V., darüber, wie das Spannungsfeld aus Interessen, Akteuren und Politik in einer Region für kreative und innovative Gestaltungsansätze in der (Weiter-)Bildung fruchtbar gemacht werden kann.

Die Podiumsteilnehmenden brachten sowohl positive Erfahrungen mit Ansätzen in Richtung auf Lernende Regionen, als auch weitreichende Erwartungen in bezug auf deren Weiterentwicklung zur Sprache. Im Detail unterschiedliche Auffassungen gab es hinsichtlich einer sinnvollen Verfahrensweise von Seiten der Politik, das Konstituieren Lernender Regionen gezielt zu unterstützen. Überraschend häufig, so die Beobachtung, seien an bereits bestehenden regionalen Netzwerken auch Unternehmer beteiligt.

Zurückgeführt wurde dies darauf, dass Unternehmen – trotz ihres in der Regel internationalen Aktionsradius’ – weiterhin auf eine gut ausgebaute regionale Bildungsinfrastruktur angewiesen sind, um ihre Mitarbeiter zu qualifizieren. Noch nicht angemessen in regionale Netzwerkstrukturen eingebunden seien allerdings die individuellen Bildungsnachfrager. Der abschließende Austausch zwischen Podium und Plenum machte deutlich, dass der Begriff der „Lernenden Region“ auch Lernprozesse über Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit in Netzwerken bzw. Transferpotenzial innovativer regionaler (Weiter-)Bildungsansätze einschließt.

Periphere Regionen – Können auch sie zu Lernenden Regionen heranwachsen?

Lassen sich Lernende Regionen unabhängig von unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen verwirklichen? Moderiert von Angela Venth, DIE, befassten sich aus europäischer Perspektive mit dieser Frage Dr. Martin Grundmann, Schleswig-Holsteinisches Institut für Forschung, Beratung und Gestaltung gesellschaftlicher, betrieblicher und regionaler Prozesse, Professor Skevos Papaioannou, Universität Kreta, Toms Urdze, Latvian Adult Education Association und Dr. Margarete Wallmann, Förderstelle des Bundes für Erwachsenenbildung für das Burgenland (A).

Die Beiträge der Podiumsteilnehmenden zeigten, dass sich periphere Regionen einem Dilemma gegenüber sehen: Einerseits führen dringliche Qualifizierungsbedarfe vielfach zu einer Aufbruchstimmung unter den ansässigen Akteuren der (Weiter-)Bildung – und damit auch zu besseren, intensiveren (Weiter-Bildungs-Maßnahmen. Andererseits hat dies zur Konsequenz, dass die so qualifizierten Arbeitskräfte die Region verlassen, und damit der Abwanderung aus peripheren Regionen Vorschub leisten. In ungünstigen Fällen – so wurde berichtet – erschweren fehlendes Selbstbewusstsein und nicht existente regionale Entwicklungsziele das Entstehen Lernender Regionen. Ein Bewusstsein über regionale Stärken und Möglichkeiten der Selbstgestaltung zu schaffen, kann deshalb eine wichtige Aufgabe für potenzielle Akteure sein. Kritisiert wurde im Podium, dass die vielfach zu beobachtende staatliche Praxis die Entwicklungsrichtung peripherer Regionen vorgebe. Eine „Reibung“ regionaler Eigenheiten an von außen stammenden Strukturen und Denkweisen befördere allerdings eine regionale Identitätsbildung – so gesehen könne aber auch dies zur Entwicklung eigenständiger Lernender Regionen in der Peripherie beitragen.

Gestaltung regionaler Netzwerke – Wie lässt sich eine Vernetzung von Akteuren steuern?

Auf die Suche nach konkreten Verfahrenshinweisen für den Aufbau von Netzwerken begab sich am zweiten Veranstaltungstag die Podiumsrunde unter Moderation von Dr. Marlene Lohkamp-Himmighofen, BMBF. Mag. Gabriele Gerhardter, Entwicklung durch Erfahrung (Wien, Österreich), Wolfgang Himmel, Lernagentur Bodensee/impuls GmbH (Konstanz), und Dr. Bernd Thunemeyer, FET& WW Zentralstelle für Forschungs- und Entwicklungstransfer und Wissenschaftliche Weiterbildung, Universität-GH Essen, diskutierten, inwieweit sich eine „ideale“ Zusammensetzung regionaler Netzwerke identifizieren lasse – oder ob jeweils individuelle regionale Lösungen einem „rezeptartigen“ Modell überlegen seien.

Eine organisatorische Grundstruktur und der Zusammenschluss solcher Akteure, die innerhalb des Netzwerkes verschiedene „Grundfunktionen“ übernehmen können, seien wichtig für die Netzwerkfunktionalität, so der Hinweis. Zunächst als „Trittbrettfahrer“ oder „Blockierer“ auftretende Akteure ließen sich mit Hilfe einer sensiblen Moderation mit der Zeit durchaus in eine gemeinschaftliche Arbeitsstruktur integrieren. Prinzipiell sei aber eine Einflussnahme auf die Zusammensetzung und die Arbeit von Netzwerken nur sehr begrenzt möglich und sinnvoll; die besondere Leistung von Netzwerken liege gerade darin, zunächst nicht realisierbar erscheinenden Anliegen durch persönliches Engagement und spontanes Experimentieren mit unkonventionellen Verfahrenswegen zum Erfolg zu verhelfen. Nahezu provokativ wirkte die Frage, wie sich regionale Netzwerke sinnvoll wieder auflösen können, wenn die von ihnen entworfenen Bildungsstrukturen nachhaltig in einer Region verankert sind. Resümee dieses Themenblocks: Das Gestalten von regionalen Netzwerken erfordere es, mit Paradoxien und unvorhersehbaren Entwicklungen umgehen zu können.

Bund und Länder zu Lernenden Regionen

„Die Länder übernehmen gerne Verantwortung für die im Rahmen des BMBF-Programms ’Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken’ entstehenden regionalen Kooperationsstrukturen, denn inhaltlich ist das Programm an Länderaktivitäten geknüpft“, erklärte MinDirig. Dr. Peter Krug, Leiter des Ausschusses für Fort- und Weiterbildung der Kultusministerkonferenz. Für ihn von besonderer Bedeutung ist der Beitrag Lernender Regionen zu Strukturbildung und Nachhaltigkeit im (Weiter-)Bildungswesen.

Dr. Marlene Lohkamp-Himmighofen, BMBF, machte Entstehungshintergrund und Zielsetzungen des BMBF-Programms zum Aufbau Lernender Regionen deutlich: „Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturwandel erfordert ein lebenslanges Lernen Aller, für das die Bundespolitik die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen möchte“, erklärte sie. Nur ein innovativer, ganzheitlicher Ansatz, bei dem regionale (Weiter-)Bildungsakteure mit dem BMBF und den Ländern zusammenwirkten, sei angemessen, um die anspruchsvollen Ziele der Bundesregierung zu verwirklichen.
Bildung im Kontext der Region – Thesen und Bezüge
Moderiert von Achim Puhl, DIE, führten Prof. Dr. Jörg Knoll, Universität Leipzig, und Christine Merkel, UNESCO-Kommission, Bonn, die Gedankenstränge aus den Podien abschließend zusammen. Knoll stellte sechs Thesen auf: 1. Lernende Regionen sind mehr als ein Förderprogramm, 2. Lernende Regionen beziehen sich nicht nur auf Regionalentwicklung, 3. Lernende Regionen aktivieren das Spannungsverhältnis zwischen Innovation und Struktur, 4. Voraussetzung Lernender Regionen sind Ziele und Visionen, 5. Die Wissenschaft ist gefordert, Analysemodelle für Netzwerkprozesse zu entwickeln und 6. Forschungsprojekte über Lernende Regionen sollten sich untereinander vernetzen.

Die Bezüge der Lernenden Region zu großen Diskussionssträngen der internationalen Bildungsdebatte machte Christine Merkel transparent. In ihren Ausführungen behandelte sie unter anderem die sogenannte „Glokalisierung“, den Zuwachs an globalen Disparitäten, die gesellschaftliche Debatte über Innovation versus lebenswerte Zukunft, Fragen der Lerngesellschaft (z.B. „Lernen in Diversität“) und den Bereich der Neuen Technologien.
„Offensichtlich gewinnt die Weiterbildung zunehmend Zugang zu anderen Fachdiskussionen“, resümierte Dr. Klaus Meisel, stellvertretender Direktor des DIE, beim Abschluss des DIE-Forum Weiterbildung 2001. Für ihn liegt eine besondere Herausforderung Lernender Regionen darin, dass sie eine dauerhafte Verständigung regionalen Gestaltungswillens und politischer Steuerungsansprüche voraussetzen.

Information: Deutsches Institut für Erwachsenbildung, Hansaallee 150, 60320 Frankfurt/M., Ingrid Ambos, Fon 069/95626-154, Fax 069/95626-174, E-Mail ambos@die-frankfurt.de

Das DIE gehört mit 78 anderen außeruniversitären Forschungseinrichtungen zur Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V. (WGL). Das Spektrum der Leibniz-Institute ist breit und reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften und Museen mit angeschlossener Forschungsabteilung. Die Institute arbeiten nachfrageorientiert und interdisziplinär. Sie sind von überregionaler Bedeutung, betreiben Vorhaben im gesamtstaatlichen Interesse und werden deshalb von Bund und Ländern gemeinsam gefördert

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