Die Forschung an menschlichen Zellen und Gewebe ist einen entscheidenden Schritt weiter gekommen

Stiftung Human Tissue & Cell Research in Regensburg schafft erstmals ethische und rechtliche Voraussetzungen für die Forschung an voll funktionsfähigem humanem Gewebe in der Kulturschale.

Die Forschung an menschlichen Zellen und Gewebe ist einen entscheidenden Schritt weiter gekommen: Mit der Gründung der Stiftung HTCR – Human Tissue & Cell Research – am Klinikum der Universität Regensburg eröffnet sich für viele Wissenschaftler erstmals die Möglichkeit, auf rechtlich wie ethisch geklärter Basis menschliches Zellmaterial zu erhalten -präzise dokumentiert und archiviert. „Wir haben damit in Deutschland als Erste weltweit ein Instrument, um die Entwicklung von neuen Therapien schneller und wirkungsvoller voranzutreiben“, erklärt der Stiftungsgründer Prof. Dr. Karl-Walter Jauch. Dafür gibt es wichtige Gründe: In der Kulturschale können Behandlungsstrategien zur Heilung von Lebererkrankungen oder Ernährungstrategien zur Unterstützung einer Leberregeneration entwickelt werden. Zudem kann die Wirkung von Medikamenten an humanen Zellen gezielter getestet werden. Viele Tierversuche und Tests an Menschen können so bei der Entwicklung von Medikamenten unterbleiben oder gar Todesfälle bei der Anwendung von Arzneimitteln vermieden werden.

„Die Forschung braucht dafür ausreichend geeignetes und frisches Gewebe.“ Dieser ganz wesentliche Aspekt, so der Direktor der Klinik und Poliklinik für Chirurgie an der Universität Regensburg, erst ermöglicht den Wissenschaftlern, Zellen in vitro, also außerhalb des lebenden Organismus, zu isolieren und anschließend unter standardisierten, also gleichen und nachvollziehbaren Bedingungen, zum Wachstum zu bringen. „Die Methodik ist vom Grundsatz her seit Jahrzehnten bekannt; die bislang gewonnenen Zellen zeigten aber nicht die funktionellen Eigenschaften wie die Zellen im Körper. Aber erst jetzt ist es in unserem Zentrum für Leberzellforschung gelungen, ein wissenschaftlich relevantes Verfahren erstmals so umzusetzen, dass die Zellen in der Kulturschale denen im menschlichen Körper fast völlig entsprechen.“ Neue, auf den jeweiligen Patienten spezifisch ausgerichtete Therapien zur Heilung von schweren Krankheiten wie Hepatitis sind damit in greifbare Nähe gerückt. „Sie wirken besser und kosten zudem weniger Geld“, so Prof. Jauch.

Menschliches Gewebe zu bekommen, ist kein Problem. „Bei vielen Operationen an kranken Organen wird Gewebe, das für weitere Diagnosezwecke nicht mehr gebraucht wird, verworfen“, erklärt Prof. Jauch. Diese Zellen eignen sich besonders gut für die Forschung, weil „gesunde und kranke Zellen aus ein und demselben Verbund stammen. Wir können jetzt die Gensequenzen in kranken und gesunden Zellen miteinander vergleichen und so die Ursache der Krankheit erforschen.“ Der Nutzen dieses Verfahrens ist bahnbrechend: „Wir sind damit in der Lage, sichere und damit einsetzbare neue Therapiemöglichkeiten zum Wohle der Patienten zu entwickeln.“ Karl-Walter Jauch nennt ein Beispiel: Medikamente werden heute nach derzeitiger Rechtssituation langwierig zunächst an Tieren, dann an Menschen getestet. „Wir haben trotzdem keine hundertprozentige Gewissheit, dass die Wirkungsweise auf jedes Individuum gleich ist.“ Prof. Jauch erinnert an einen aktuellen Fall, bei dem durch die Einnahme des Cholesterin-senkenden Medikaments Lipobay über 50 Menschen weltweit gestorben sind. „Obwohl das Medikament Millionen von Menschen geholfen hat, musste es vom Markt genommen werden.“ Der Grund dafür ist die Unverträglichkeit des Wirkstoffes Cerivastatin, der bei einigen Menschen, die gleichzeitig ein Medikament mit dem Wirkstoff Gemfibrozil einnehmen, eine Muskelschwäche ausgelöst hat, die zum Tode geführt hat. „Der Fall zeigt, dass trotz sorgfältiger Tests die Wirkung von Medikamenten sehr individuell ausgerichtet sein kann.“

Die Vorteile bei der Forschung mit menschlichen Zellen liegen auf der Hand. Eine zentrales Anliegen der Stiftung HTCR war nun, auch hohen rechtlichen und ethischen Ansprüchen zu genügen. „Grundsätzlich darf menschliches Gewebe ohne Einverständnis des Patienten nicht weitergereicht werden, sofern es nicht eigenen Diagnose- oder Therapiezwecken dient“, erklärt Prof. Jauch. „Um die Erlaubnis zu bekommen, müssen wir berechtigtes Mißtrauen grundlegend abbauen.“ Deshalb haben die Gründer die Form der Stiftung gewählt, die völlig unabhängig von Forschungsinstituten wie interessierten Unternehmen agiert, sehr strengen staatlichen Kontrollen unterliegt und keinerlei wirtschaftliche Interessen hegt. Prof. Karl-Walter Jauch selbst hat die ersten 300 000 Mark eingelegt. Spenden aus der Industrie ergänzen das Stiftungsvermögen auf insgesamt 450 000 Euro.. Die Geldgeber selbst, wie alle weiteren Spender – und auf solche ist die Stiftung angewiesen, will sie ihre ehrgeizigen Vorhaben umsetzen -, haben auf das Vermögen keinerlei Einfluss mehr. Lediglich die Zinsen stehen für Vorhaben zur Verfügung.

Die organisatorische Form berechtigt die Stiftung, menschliches Gewebe zu sammeln, die spezifischen Daten sorgfältig und systematisch zu dokumentieren und es aufzubewahren. Der Spender wird im Vorfeld gründlich über die weitere mögliche Verwendung aufgeklärt, muss seine schriftliche Zusage geben und hat das Recht, über alle weiteren Schritte genaue Auskunft einzufordern. Diese Einwilligung ist nicht identisch mit der Erlaubnis, die ein Patient einem Arzt vor einem Eingriff erteilen muss, und muss daher zusätzlich vom Patienten eingeholt.werden.

„Forschungseinrichtungen in Hochschulen oder in Pharma-Unternehmen können nun einen Antrag stellen, um mit menschlichen Zellen versorgt zu werden.“ Davor werden von der Stiftung die Daten zu den jeweilgen Gewebeproben anonymisiert, so dass „die Wissenschaftler keine Möglichkeiten haben, den Spender zu identifizieren. Unabhängig davon, so Jauch, prüft ein Ethikbeirat, der sich aus renommierten Juristen, Philosophen, Moraltheologen und Ethikern zusammensetzt, ob die Forschungsvorhaben mit den Grundsätzen der Stiftung übereinstimmen. „Die Stiftung selbst hat keinerlei Eigeninteresse am Sammeln und Verwerten von menschlichem Gewebe.“

Für die Zukunft der Stiftung HTCR wünscht sich Prof. Jauch, „dass die Organisation einen wichtigen Beitrag leisten kann, um bei der Entwicklung von neuen Therapien durch die Nutzung von menschlichen Zellen schnellere Ergebnisse der Wirkunsweise zu erreichen“. Er ist davon überzeugt, dass „in zehn Jahren nicht mehr ein und dasselbe Medikament an den Patienten verabreicht wird, sondern ein auf das Individuum genau abgestimmtes. Damit sind viele Tierversuche nicht mehr nötig.“ Um diese Ziele zu erreichen, investiert die Stiftung einen Großteil des zur Verfügung stehenden Kapitals in wissenschaftliche Projekte. Desweiteren hat die Stiftung heuer erstmals einen Preis ausgelobt, um Forschungsgruppen einen zusätzlichen Anreiz zu geben, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

„Bei dem derzeitigen Vermögen ist das allerdings ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Prof. Jauch appelliert aus diesem Grund an alle, die an der Weiterentwicklung hin zu neuen und besseren Diagnose- und Therapieformen sind, die Stiftung zu unterstützen.
Spendenkonto:
Stiftung HTCR
Deutsche Bank München, BLZ 700 700 10, Konto Nr. 5757307 00

Ansprechpartner:
Dr. Thomas Plän
Vorstand
Tel. 0941/785398-11
Fax 0941/785398-10

Media Contact

Dr./M.A. Rudolf F. Dietze idw

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Interdisziplinäre Forschung

Aktuelle Meldungen und Entwicklungen aus fächer- und disziplinenübergreifender Forschung.

Der innovations-report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Mikrosystemforschung, Emotionsforschung, Zukunftsforschung und Stratosphärenforschung.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

KI-basierte Software in der Mammographie

Eine neue Software unterstützt Medizinerinnen und Mediziner, Brustkrebs im frühen Stadium zu entdecken. // Die KI-basierte Mammographie steht allen Patientinnen zur Verfügung und erhöht ihre Überlebenschance. Am Universitätsklinikum Carl Gustav…

Mit integriertem Licht zu den Computern der Zukunft

Während Computerchips Jahr für Jahr kleiner und schneller werden, bleibt bisher eine Herausforderung ungelöst: Das Zusammenbringen von Elektronik und Photonik auf einem einzigen Chip. Zwar gibt es Bauteile wie MikroLEDs…

Antibiotika: Gleicher Angriffspunkt – unterschiedliche Wirkung

Neue antimikrobielle Strategien sind dringend erforderlich, um Krankheitserreger einzudämmen. Das gilt insbesondere für Gram-negative Bakterien, die durch eine dicke zweite Membran vor dem Angriff von Antibiotika geschützt sind. Mikrobiologinnen und…

Partner & Förderer