KI-Systeme für die flugzeuggestützte Erfassung von Plastikmüll in den Meeren

Das Drohnenbild zeigt den Versuchsaufbau aus der Vogelperspektive am Strand von Spiekeroog.
Bild: Robert Krell / everwave

Flugzeuge, die weltweit Gewässer routinemäßig überfliegen, um Verschmutzungen zu überwachen, könnten künftig nicht nur Öl- und Chemieunfälle auf Hoher See, in Küstengewässern und am Strand aufspüren, sondern auch Kunststoffabfälle, die auf der Wasseroberfläche schwimmen.

Im Projekt PlasticObs+ arbeitet ein Konsortium unter der Leitung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) daran, erstmals eine luftgestützte Überwachung größerer, zusammenhängender Meeresgebiete zu entwickeln, die kontinuierlich und nicht wie bisher punktuell Plastik in Gewässern erfasst. Nun liegen erste Ergebnisse vor.

Plastikmüll in Gewässern stellt nach wie vor ein globales, drängendes Umweltproblem dar, da er das Ökosystem Meer und damit eine lebenswichtige Ressource für Menschen und Tiere gefährdet. Rund zehn Millionen Tonnen Plastikmüll landen jährlich in den Weltmeeren. Das entspricht etwa einer Lkw-Ladung pro Minute. Tütenreste, Einwegverpackungen oder Getränkeflaschen sind mittlerweile weltweit zu finden, von der Arktis über die Tiefsee bis zur Nord- und Ostsee.

Mit Ankern fixieren die Wissenschaftler Mattis Wolf und Christoph Tholen (von links) Netze, die den ausgebrachten Plastikmüll vor einer Verwehung am Strand von Spiekeroog schützen.
(c) Richard Kachel / DFKI

Müll, der auf der Wasseroberfläche treibt, wurde in der Vergangenheit zwar schon luftgestützt erfasst, aber bisherige Erkenntnisse beruhen im Wesentlichen auf zeitlich und räumlich begrenzten Messungen. Hier setzt das Verbundprojekt PlasticObs+ an. Das langfristige Ziel besteht darin, Überwachungsflugzeuge, die routinemäßig bereits weltweit im Einsatz sind, mit KI-gestützter Sensorik auszustatten und so ein Messsystem zu entwickeln, das die Belastung von Plastikmüll in der Umwelt aus der Luft erfassen kann. Auf diese Weise könnte erstmals eine kontinuierliche und umfassende Bestandsaufnahme umgesetzt werden, die Aufschluss über die Art, Menge und Größe des Abfalls sowie mögliche Verursacherquellen gibt. Das Ergebnis wäre eine wissenschaftliche Basis, um Maßnahmen, Gesetze und Investitionen für die Sammlung, das Recycling und schließlich die Vermeidung von Kunststoffmüll in Gang zu setzen.

Zu den Aufgaben des DFKI, vertreten durch den Forschungsbereich Marine Perception in Oldenburg, gehört die Entwicklung von insgesamt vier KI-Systemen. Die ersten beiden sollen Plastikmüll noch während des Überflugs erkennen und Hotspots näher betrachten. Ein drittes System, das den Müll nach Art, Größe und Menge klassifiziert, kommt später am Boden zum Einsatz. Ein Feedback-System, das menschliche Expertise bei der Betrachtung der Bilder inkludiert, soll schließlich helfen, die ersten Systeme kontinuierlich zu verbessern und deren Vorhersagen zu optimieren.

Testflüge in Norddeutschland

Die Daten für ihre KI-Systeme erhalten die Forschenden des DFKI aus Testflügen in Norddeutschland, die die Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth mit ihrem Forschungsflugzeug durchführt. Dabei nimmt ein Sensor unter der Nase des Flugzeugs Übersichtsbilder der Region auf. Darauf muss die KI in Sekundenschnelle Müll-Hotspots erkennen, so dass ein zweiter Sensor, der sich weiter hinten unter dem Rumpf befindet, Detailaufnahmen von diesen macht. Die Herausforderung, sagen die DFKI-Forschenden Mattis Wolf und Dr. Christoph Tholen, bestehe einerseits darin, dass „wir ein großes Gebiet überfliegen und der Übersichtssensor ein niedrig aufgelöstes Bild der Szene aufnimmt, dass andererseits die Auswertung innerhalb von Sekunden aber mit einer hohen Treffsicherheit erfolgen muss“.

Ein erster Test fand im vergangenen Jahr auf der Insel Spiekeroog statt. Das Projekt-Konsortium legte jeweils am Strand und in den Salzwiesen ein Versuchsfeld aus Plastik aus. Diese überflog zunächst eine Drohne in Höhen zwischen 15 und 100 Metern und anschließend das Forschungsflugzeug in Höhen ab 150 bis teilweise 1200 Metern. Das Versuchsfeld bestand aus einer exakten Anordnung verschiedener Plastiksorten wie schwarzen PP-Kaffeedeckeln, PS-weißen und cremefarbenen Lunchboxen sowie LDPE-blauen und transparenten Mülltüten. Das Team fixierte die Behältnisse in unterschiedlich großen Ansammlungen unter Netzen, so dass keine Verwehung stattfinden konnte. Die Kernfrage, die die Forschenden mit der Kampagne beantworten wollten, lautete: Aus welchen Höhen können die Sensoren an der Drohne bzw. dem Flugzeug Plastikmüll sicher erkennen? Die bisherigen Ergebnisse werten Projektleiter Wolf und sein Kollege Tholen positiv, denn „sie zeigten, dass Plastik in den von uns angepeilten Höhen mit zufriedenstellender Genauigkeit erkannt werden kann“.

Es zeigte sich, dass die Farbe und die Größe der Gegenstände sowie der Untergrund eine wichtige Rolle spielten. So konnten auf Gras alle Plastiksorten mit hoher Genauigkeit erkannt werden, mit Ausnahme der schwarzen PP-Kaffeedeckel aus mehr als 700 Metern. Auf Sand nimmt die Genauigkeit bei allen Plastiksorten bei 750 Metern ab, besonders stark betroffen waren hier LDPE-transparent und erneut PP-schwarz.

Heutige OCEANS Konferenz

Diese und weitere Ergebnisse haben die DFKI-Forschenden in einem Paper festgehalten, das sie in diesen Tagen auf der OCEANS Konferenz 2023 in Limerick, Irland, präsentieren. Carolin Leluschko, die an der wissenschaftlichen Publikation ebenfalls mitgewirkt hat, sagt: „Um herauszufinden, wie die KI performt, sind die Bilder aus dem Flugzeug von jeweils fünf Personen unabhängig voneinander untersucht und beschriftet worden, ob sie Plastik enthalten oder nicht.“ Die Genauigkeit der KI betrug 93,3 %, während die Genauigkeit der von Menschen gekennzeichneten Bilder 92,6 % betrug.

Auch wenn das Konsortium bis zum Ende der Laufzeit des Projektes im Frühjahr 2025 noch viel Arbeit vor sich hat, belegen die Zahlen, dass die luftgestützte Fernerkundung in Kombination mit KI-Methoden funktioniert und ein wichtiges Instrument zur Bewältigung des globalen Plastikmüllproblems sein kann. PlasticObs+ steht im Einklang mit politischen Initiativen wie der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und den UN-Nachhaltigkeitszielen, die darauf abzielen, Verschmutzungen der Meere zu verringern und die Ozeane zu schützen. Es wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) mit 1,9 Millionen Euro über drei Jahre gefördert und ist Teil der BMUV-Förderinitiative KI-Leuchttürme für Umwelt, Klima, Natur und Ressourcen.

Neben dem DFKI sind in PlastiObs+ drei weitere Partner beteiligt. Die Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth setzt ihr speziell für Forschungszwecke konzipiertes Flugzeug ein, das als Messplattform für die Aufnahme von Luftbildern dient. Die Optimare Systems GmbH aus Bremerhaven, deren Kerngeschäft in der Entwicklung und Fertigung von Sensorsystemen und Missionsausrüstungen für die flugzeuggestützte Meeresüberwachung besteht, bringt ein Verfahren ein, welches basierend auf Multisensordaten hochauflösende Detailbilder erzeugt. Darüber hinaus kümmert sich Optimare um die Technik und deren Installation auf einem Flugzeug. Die everwave GmbH, die weltweit Plastikmüll in Gewässern und an Küsten mittels innovativer Müllsammelboote und stationärer Flussplattformen einsammelt, sortiert und recycelt, informiert die Öffentlichkeit und sensibilisiert sie für einen nachhaltigeren Umgang mit Plastik zum Schutz der Ozeane.

Einsatz in Brasilien

Einer der nächsten Schritte im Projekt PlasticObs+ besteht darin, weitere Daten zu sammeln. Dazu hob das Forschungsflugzeug der Jade Hochschule kürzlich erneut von Wilhelmshaven ab und überflog ein Gebiet in Norddeutschland, in dem zuvor Festivals stattgefunden hatten. Weitere Feldtests fanden bei Friedeburg im niedersächsischen Landkreis Wittmund statt, wo die Forschenden, ähnlich wie zuvor auf Spiekeroog, einen künstlichen Müllteppich auf zwei Seen ausgelegt hatten. „Diese Daten nutzen wir zum Trainieren unserer KI-Modelle, die wir anschließend an der deutschen Küste mit dem Forschungsflugzeug testen werden“, erläutert Wolf, der im Projekt u.a. dafür zuständig ist, rechenintensive und langsame tiefe neuronale Netze effizienter zu machen, so dass die KI-Systeme während des Überflugs in Sekundenschnelle zuverlässig Müll-Hotspots finden und erfassen. In einem letzten Schritt sollen die Systeme schließlich in Überwachungsflugzeugen für Ölverschmutzungen eingebaut und getestet werden, voraussichtlich in Brasilien.

DFKI Communications:
Simone Wiegand
Telefon: +49 441 99833 66 12
simone.wiegand@dfki.de
communications-ni@dfki.de

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

DFKI:
Mattis Wolf
Tel.: +49 441 99833 4714
Mattis.Wolf@dfki.de

Dr. Christoph Tholen
Tel.: +49 99833 4721
Christoph.Tholen@dfki.de

everwave GmbH:
Inga Hilbig
Tel.: +49 172 4628695
hilbig@everwave.de

Optimare Systems GmbH:
Dr. Tobias Binkele
Tel.: +49 471 48361–42
tobias.binkele@optimare.de

Jade Hochschule:
Tobias Schmid
Tel.: +49 176 922 560 47
tobias.schmid@jade-hs.de

Prof. Dr.-Ing. Jens Wellhausen
Tel.: +49 4421 985 2961
jens.wellhausen@jade-hs.de

Weitere Informationen:

https://www.dfki.de/web/forschung/projekte-publikationen/projekt/plasticobs-plus
https://www.plasticobs.de/
https://www.dfki.de/web/news-media/news-events/kuenstliche-intelligenz-kann-meer

Media Contact

Simone Wiegand DFKI Niedersachsen
Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH, DFKI

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Informationstechnologie

Neuerungen und Entwicklungen auf den Gebieten der Informations- und Datenverarbeitung sowie der dafür benötigten Hardware finden Sie hier zusammengefasst.

Unter anderem erhalten Sie Informationen aus den Teilbereichen: IT-Dienstleistungen, IT-Architektur, IT-Management und Telekommunikation.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

KI-basierte Software in der Mammographie

Eine neue Software unterstützt Medizinerinnen und Mediziner, Brustkrebs im frühen Stadium zu entdecken. // Die KI-basierte Mammographie steht allen Patientinnen zur Verfügung und erhöht ihre Überlebenschance. Am Universitätsklinikum Carl Gustav…

Mit integriertem Licht zu den Computern der Zukunft

Während Computerchips Jahr für Jahr kleiner und schneller werden, bleibt bisher eine Herausforderung ungelöst: Das Zusammenbringen von Elektronik und Photonik auf einem einzigen Chip. Zwar gibt es Bauteile wie MikroLEDs…

Antibiotika: Gleicher Angriffspunkt – unterschiedliche Wirkung

Neue antimikrobielle Strategien sind dringend erforderlich, um Krankheitserreger einzudämmen. Das gilt insbesondere für Gram-negative Bakterien, die durch eine dicke zweite Membran vor dem Angriff von Antibiotika geschützt sind. Mikrobiologinnen und…

Partner & Förderer