Supercomputer zum Spartarif – Magdeburger Physiker bauen Parallelrechner
Der neue Rechner der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg heißt Tina. Mit ihrer Länge von sechs Metern und ihrem Gewicht von fünf Tonnen sieht Tina aus wie einer der großen Supercomputer von IBM oder Cray. Auch der Stromverbrauch von 10 kW deutet darauf hin, dass hier ein Höchstleistungsrechner arbeitet. Während man für die Spitzenmodelle von IBM und Co. allerdings mehrere Millionen hinblättern muss, kostete Tina nur 453.000,00 DM. Das Geheimnis des extrem günstigen Preis-Leistungs-Verhältnisses liegt im Aufbau: Tina besteht aus handelsüblichen PCs, die zu einem Parallelrechner zusammengeschaltet wurden. Geplant und gebaut wurde der preiswerte Supercomputer von zwei Physikern am Institut für Theoretische Physik. „PCs sind inzwischen so billig, dass irgendwann die Idee einfach reif war, viele davon zu einem Parallelcomputer zu vernetzen“, sagt Alexander Schinner, einer der Väter von Tina.
Jeder der 72 PCs im Inneren von Tina besteht aus zwei Pentium III Prozessoren mit 800 MHz Taktfrequenz und hat einen Arbeitsspeicher von 512 MByte, entspricht also in etwa dem, was sich ein anspruchsvoller Anwender heutzutage auf den Schreibtisch stellt. 72 mal 2 Pentium Prozessoren – ist Tina damit 144 mal so schnell wie ein moderner PC? „Nicht ganz“, so Dr. Stephan Mertens, der zweite Vater von Tina, „die vielen Prozessoren müssen ihre Arbeit ja koordinieren.“ Die Koordination der Prozessoren kostet aber Zeit – wie viel, das hängt von der Programmierung ab und dem Netzwerk, das die einzelnen Prozessoren miteinander verbindet. Konventionelle Supercomputer sind u.a. deshalb so teuer, weil sie für diesen Zweck spezielle Netzwerktechnik enthalten. Die Magdeburger Universitätswissenschaftler verwenden auch hier Standardtechnologie, wie sie z.B. bei der Vernetzung von Büro-Computern eingesetzt wird. Dass dies die Leistungsfähigkeit nicht unbedingt einschränken muss, zeigen erste Tests, bei denen Tina eine Rechenleistung von über 40 Gflops (Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde) erreichte. Das ist ein sehr beachtlicher Wert, auch im weltweiten Maßstab. Zum Vergleich: ein Cray T3E Supercomputer erreicht mit einer ähnlichen Anzahl von Prozessoren 58 Gflops. Stephan Mertens: „Unser Traum ist es natürlich, mit Tina einen Platz in den TOP 500 der Supercomputer zu erobern.“ Die TOP 500 ist eine Rangliste der 500 schnellsten Computer der Welt (www.top500.org), die zweimal jährlich von den Universitäten Mannheim und Tennessee veröffentlicht wird. Die aktuelle Liste wird angeführt von einem Rechner mit 8192 Prozessoren und der sagenhaften Leistung von 4938 Gflops, aber für einen Platz ganz hinten reicht im Augenblick noch eine Leistung von 55 Gflops. Die Magdeburger Physiker müssen Tinas Leistung also noch ein wenig steigern, um ihren Traum von einer Platzierung in der Weltelite der Superrechner zu verwirklichen, aber die Situation ist nicht aussichtslos, denn noch ist Tina nicht voll ausgebaut. Alexander Schinner: „Bisher konnten wir nur eine Hälfte der vorgesehenen Netztechnik installieren. Vom Vollausbau versprechen wir uns noch eine Leistungssteigerung.“ Auch die Software biete noch einige Möglichkeiten der Optimierung, ergänzt sein Kollege Stephan Mertens.
Sobald Tina komplett ist, ist aber Schluss mit der Jagd nach neuen Geschwindigkeitsrekorden, denn der Rechner wurde schließlich für Forschungsaufgaben angeschafft. Die Arbeitsgruppen von Professor Klaus Kassner (Computerorientierte Physik) und Professor Andreas Engel (Nichtlineare Dynamik) wollen mit Tinas Hilfe Probleme aus den Bereichen Kristallwachstum, der Dynamik von Schüttgütern und Strömungen und der mathematischen Optimierung lösen. Es ist allerdings nicht ganz einfach, einen massiv-parallelen Rechner wie Tina dazu zu bewegen, komplizierte mathematische Probleme zu lösen. „Paralleles Programmieren ist eine Wissenschaft für sich“, so Dr. Mertens, „aber wir bieten entsprechende Einführungsvorlesungen und Seminare an.“ Die Tatsache, dass Tina nicht wie ihre teuren Kollegen abgeschottet in einem Rechenzentrum steht, kommt den Studierenden entgegen. Sie müssen keine Anträge auf Rechenzeit stellen und können zu Übungszwecken auch schon mal den kompletten Rechner belegen. Heiko Bauke, Physikstudent im siebenten Semester an der Magdeburger Universität, ist aktiv an Aufbau und Betrieb des Rechners beteiligt. Bauke: „Durch die Arbeit an Tina habe ich wahrscheinlich mehr über Betriebssysteme und Computernetzwerke gelernt als mancher Diplom-Informatiker und Spaß macht es auch!“
Der Spaß an Hochleistungsrechnern ist es auch, der die Väter von Tina motiviert, denn es ist nicht einfach, neben den üblichen Forschungs- und Lehrverpflichtungen ein solches System zu bauen und zu betreiben. Während die teuren Supercomputer schlüsselfertig und mit Wartungsvertrag gekauft werden, sind die Magdeburger Physiker für ihren Selbstbaurechner ganz allein verantwortlich. Tinas Väter opfern ihrem „Kind“ jedenfalls einen großen Teil ihrer Freizeit. Dank ihres Engagements hat Tina alle Chancen, auf der diesjährigen Computermesse CeBIT zum Star auf dem Stand der Hochschulen Sachsen-Anhalts zu avancieren.
Mehr Informationen zu Tina gibt es im Internet:
http://tina.nat.uni-magdeburg.de
Für Rückfragen stehen Alexander Schinner (0173) 6129128 und Stephan Mertens (0172) 5266099 gern zur Verfügung.
Weitere Informationen finden Sie im WWW:
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