Kohlendioxid-Anstieg drosselt die Kalkbildung im Meer


In der neuesten Nature-Ausgabe (21.9.2000) ist eine Studie veröffentlicht, in der Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven nachweisen, dass der steigende Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre einen der lebenswichtigen Prozesse im Meer, die Kalkbildung im marinen Plankton, beeinträchtigt.

Der steigende Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre beeinträchtigt einen der lebenswichtigen Prozesse im Meer, die Kalkbildung im marinen Plankton. Dies weisen Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven in einer Studie nach, die jetzt in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht worden ist. („Reduced calcification of marine plankton in response to increased atmospheric CO2“ von U. Riebesell, I. Zondervan, B. Rost, P.D. Tortell, R.E. Zeebe und F.M.M. Morel, Nature, 21. September 2000). Hochrechnungen zufolge könnte die Kalkproduktion bis zum Jahre 2100 ozeanweit auf sechzig bis siebzig Prozent des vorindustriellen Wertes zurückgehen. Welche Auswirkungen dies auf das marine Ökosystem hat, lässt sich gegenwärtig noch nicht abschätzen. Gesichert ist, dass sich durch verminderte Kalkbildung die Speicherkapazität des Ozeans für das Treibhausgas Kohlendioxid erhöht.
Die Verwendung von Kalk als Baustoff für Schalen und Skelette ist unter Meeresbewohnern weit verbreitet. Die Untersuchung der Bremerhavener Forscher und ihrer amerikanischen Kollegen galt dabei den sogenannten Kalkplättchenträgern, weniger als ein Hundertstel Millimeter großen Kalkalgen. Diese winzigen Planktonalgen sind die produktivsten Kalkbildner im Meer. Sie entwickeln ausgedehnte Algenblüten über weite Areale und sorgen durch ihr anschließendes Absinken für eine beträchtliche Anreicherung von Kalk am Meeresboden. Große Kalkablagerungen, wie z. B. die weißen Klippen von Dover und Rügen, welche durch Erdverschiebungen nun über den Meeresspiegel ragen, sind ihr Werk. Die durch Kohlendioxid bedingte Hemmung der Kalkbildung bei Meeresorganismen ist die erste bisher bekannte direkte Beeinträchtigung der Tier- und Pflanzenwelt durch den Kohlendioxid-Anstieg. Die von dem AWI-Forscherteam festgestellte Kohlendioxid-Empfindlichkeit der Kalkalgen ähnelt der von Korallen, die auf erhöhte Kohlendioxid-Konzentrationen ebenfalls mit einer Abnahme der Kalkproduktion reagieren.
Ursache für eine verminderte Kalkbildung ist vermutlich ein Rückgang der Kalkübersättigung im Meerwasser. Durch den Anstieg des Treibhausgases Kohlendioxid löst sich das Gas vermehrt in den oberen Wasserschichten. Dadurch wird das Meerwasser saurer und die Kalkübersättigung nimmt ab. Gerade diese Übersättigung ist jedoch die Voraussetzung dafür, dass Meeresorganismen Kalk abscheiden können. Berechnungen der Bremerhavener Meeresforscher ergeben, dass bei einem unverändert fortschreitenden Anstieg des Treibhausgases die Kalkübersättigung im Meerwasser bis zum Jahr 2100 gegenüber dem vorindustriellen Wert um ca. fünfunddreißig Prozent gesunken sein wird. Die Voraussetzungen für die Kalkbildung werden damit zunehmend ungünstiger.

Dieser für die Kalkbildner negative Trend hat allerdings auch einen für die Klimaentwicklung positiven Seiteneffekt. Verminderte Kalkbildung erhöht nämlich die Speicherkapazität der Meere für das Treibhausgas Kohlendioxid. Der Grund: Kalkbildung setzt Kohlendioxid frei. Demzufolge erhöht ein Rückgang der Kalkbildung die Aufnahme von Kohlendioxid durch die Meere. Abschätzungen der AWI-Wissenschaftler zeigen, dass sich hierdurch bei gleichbleibender Kohlendioxid-Zunahme die Speicherkapazität der Meere für das Treibhausgas bis zum Jahr 2100 um bis zu 30 Milliarden Tonnen Kohlenstoff erhöhen könnte. Diese erhöhte Aufnahmefähigkeit ist allerdings bei weitem zu gering, um den Anstieg des Treibhausgases merklich zu verlangsamen. Zum Vergleich: der deutsche Anteil an den globalen Kohlendioxid-Emissionen beträgt zur Zeit ca. 0,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoff jährlich, weltweit werden 6 Milliarden Tonnen ausgestoßen.
Über die möglichen Folgen verminderter Kalkbildung für das Leben im Meer lässt sich noch wenig sagen. Die Bremerhavener Meeresforscher finden eine Zunahme missgebildeter bzw. unvollständig kalzifizierter Algenzellen unter erhöhten Kohlendioxid-Bedingungen. Inwieweit damit auch die Konkurrenzfähigkeit der kalkigen Winzlinge gegenüber ihren kalklosen Mitstreitern im Plankton beeinträchtigt wird, ist noch unklar.

Druckfähige digitale Fotos von der Kalkalge Gephyrocapsa oceania erhalten Sie unter folgender Adresse: Christina Holte, cholte@awi-bremerhaven.de
Tel.: 0471/4831-1376

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Dipl.-Ing. Margarete Pauls idw

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