Weg zur Braunfärbung von Kieselalgen entschlüsselt

Die Braunfärbung von Kieselalgen wird durch das Lichtsammelcarotinoid Fucoxanthin verursacht, das grünes Licht absorbiert und die Energie auf Chlorophylle überträgt. Die zwei Mutanten mit defekter Fucoxanthinbiosynthese sind dagegen grün gefärbt.
Foto/©: Martin Lohr

Biosynthese des Lichtsammelcarotinoids Fucoxanthin unerwartet komplex – Ausgangspunkt sind Pigmente zum Schutz gegen hohe Lichtintensitäten.

Kieselalgen sind winzige Einzeller, die weltweit in Gewässern vorkommen und dort durch Fotosynthese große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid aufnehmen und in Biomasse umwandeln. Die Aufnahme des blaugrünen Anteils des Sonnenlichts erfolgt dabei über das Carotinoid Fucoxanthin. Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung einer Arbeitsgruppe der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat nun herausgefunden, wie die Algen dieses wichtige, weitverbreitete Pigment herstellen. Die Arbeit wurde in der renommierten Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht.

Syntheseweg von Fucoxanthin war bislang unbekannt

In den braun gefärbten Kieselalgen absorbiert das Carotinoid Fucoxanthin grünes Licht und überträgt die Energie auf fotosynthetische Chlorophylle, die einen Teil der Energie als rotes Fluoreszenzlicht abstrahlen (rechts). Zellen der grünen Mutante fehlt Fucoxanthin und sie zeigen daher in grünem Licht eine deutlich schwächere Chlorophyllfluoreszenz (links).
Foto/©: Martin Lohr & Christof Rickert

Die in Ozeanen und Süßwässern gleichermaßen weit verbreiteten Kieselalgen – auch als Diatomeen bezeichnet – sind die weltweit artenreichste Algengruppe und für etwa ein Fünftel der globalen fotosynthetischen Kohlendioxidaufnahme verantwortlich. Im Gegensatz zu den grünen Blättern der Landpflanzen sind die mikroskopisch kleinen Einzeller braun gefärbt. Diese charakteristische Färbung wird durch das Lichtsammelcarotinoid Fucoxanthin verursacht – es ermöglicht eine effiziente Absorption des blaugrünen Anteils des Sonnenlichtes für die Fotosynthese der Algen. Fucoxanthin ist eines der häufigsten Carotinoide auf der Erde und ein wichtiger Treiber der Fotosynthese in den Weltmeeren. In den letzten Jahren ist Fucoxanthin auch wegen seines pharmazeutischen Potenzials zunehmend in das Forschungsinteresse gerückt. Fucoxanthin, das auch in Braunalgen vorkommt, erhielt seinen Namen bereits vor 150 Jahren und seine chemische Struktur wurde in den 1960er Jahren vollständig aufgeklärt. Bis jetzt war allerdings immer noch nicht bekannt, wie Algen diesen wichtigen Naturstoff synthetisieren.

In einer gemeinsamen Veröffentlichung in PNAS haben nun die Arbeitsgruppen von Dr. Martin Lohr an der JGU, Prof. Dr. Graham Peers an der Colorado State University in Fort Collins, USA, und Prof. Dr. Xiaobo Li an der Westlake University in Hangzhou, China, den Biosyntheseweg dieses Pigmentes in Kieselalgen weitgehend aufgeklärt. Dazu haben sie in der Kieselalge Phaeodactylum tricornutum mit der Genschere CRISPR/Cas9 gezielt Gene für Kandidatenenzyme ausgeschaltet, die eine Ähnlichkeit zu Enzymen mit bereits bekannter Funktion in der Carotinoidbiosynthese von Landpflanzen aufweisen. Bei zwei Enzymkandidaten führte das Ausschalten zur „Ergrünung“ der sonst braun gefärbten Phaeodactylum-Zellen. Weitere Untersuchungen bestätigten, dass diese Mutanten anstelle von Fucoxanthin nun andere Carotinoide ansammeln und eine deutlich schlechtere Lichtausbeute der Fotosynthese zeigen. Durch die Identifizierung der neuen Carotinoide und die biochemische Charakterisierung der in den Mutanten ausgeschalteten Enzyme konnten die Autoren erstmals einen vollständigen Weg der Fucoxanthinbiosynthese in Kieselalgen vorschlagen.

Synthese erfolgt über komplexen Weg mit zuvor unbekannten Zwischenstufen

Dieser Syntheseweg ist deutlich komplexer als ursprünglich angenommen und enthält drei bisher nicht beschriebene Carotinoide als Zwischenstufen. Mithilfe von bioinformatischen Sequenzanalysen der neu identifizierten Enzyme und anhand ihrer Verbreitung in Algen konnten die Autoren außerdem zeigen, dass der Biosyntheseweg in Kieselalgen durch Duplikation von bereits vorhandenen Genen für Enzyme zur Bildung von Lichtschutzcarotinoiden entstanden ist. Den Biologen zufolge wurden Carotinoide in fotosynthetisch aktiven Organismen ursprünglich als Pigmente zum Schutz gegen zu hohe Lichtintensitäten verwendet. Ihre Arbeiten belegen nun, dass Kieselalgen aus dem Enzym-Werkzeugkasten für die Bildung dieser Schutzpigmente wiederholt Werkzeuge vervielfältigt und für die Kopien neue Funktionen entwickelt haben. Dadurch konnten die Algen schließlich komplexer aufgebaute Carotinoide mit veränderten Absorptionseigenschaften bilden, die sich besonders gut als Lichtsammelpigmente eignen. Interessanterweise fehlen den evolutionär jüngeren Braunalgen diese zusätzlichen Enzyme sowie die neu identifizierten Carotinoid-Zwischenprodukte. Dies legt nahe, dass Braunalgen einen abgewandelten Syntheseweg für Fucoxanthin nutzen.

Eine Übertragung des vollständigen Fucoxanthinbiosynthesewegs in andere Organismen ist allerdings noch nicht möglich. „Wir haben zwar jetzt alle Zwischenstufen charakterisiert, aber es sind noch immer nicht alle am Syntheseweg beteiligten Enzyme bekannt“, sagt Arbeitsgruppenleiter Martin Lohr vom Institut für Molekulare Physiologie der JGU. Allerdings erwarten die Autoren, dass die Identifizierung der noch fehlenden Enzyme dank ihrer Ergebnisse nun deutlich erleichtert wird. Darüber hinaus eröffnen die grünen Phaeodactylum-Mutanten ganz neue Untersuchungsmöglichkeiten für ein besseres Verständnis der Biogenese und der Funktion des Fotosyntheseapparates in den ökologisch wichtigen Kieselalgen.

Bildmaterial:
https://download.uni-mainz.de/presse/10_imp_pflanzen_kieselalgen_fucoxanthin_01….
Die Braunfärbung von Kieselalgen wird durch das Lichtsammelcarotinoid Fucoxanthin verursacht, das grünes Licht absorbiert und die Energie auf Chlorophylle überträgt. Die zwei Mutanten mit defekter Fucoxanthinbiosynthese sind dagegen grün gefärbt.
Foto/©: Martin Lohr

https://download.uni-mainz.de/presse/10_imp_pflanzen_kieselalgen_fucoxanthin_02….
In den braun gefärbten Kieselalgen absorbiert das Carotinoid Fucoxanthin grünes Licht und überträgt die Energie auf fotosynthetische Chlorophylle, die einen Teil der Energie als rotes Fluoreszenzlicht abstrahlen (rechts). Zellen der grünen Mutante fehlt Fucoxanthin und sie zeigen daher in grünem Licht eine deutlich schwächere Chlorophyllfluoreszenz (links).
Foto/©: Martin Lohr & Christof Rickert

Lesen Sie mehr:
https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/11675_DEU_HTML.php – Pressemitteilung „Der Braunfärbung von Algen auf der Spur“ (25.06.2020)

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Martin Lohr
Molekulare Pflanzenwissenschaften
Institut für Molekulare Physiologie (IMP)
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
55099 Mainz
Tel. +49 6131 39-24201
E-Mail: lohr@uni-mainz.de
https://www.blogs.uni-mainz.de/fb10-plant-biochemistry/ag-lohr-algal-pigments/

Originalpublikation:

Yu Bai et al.
Green diatom mutants reveal an intricate biosynthetic pathway of fucoxanthin
Proceedings of the National Academy of Sciences, 12. September 2022
DOI: 10.1073/pnas.2203708119
https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2203708119

https://www.uni-mainz.de/

Media Contact

Petra Giegerich Kommunikation und Presse
Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neues topologisches Metamaterial

… verstärkt Schallwellen exponentiell. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am niederländischen Forschungsinstitut AMOLF haben in einer internationalen Kollaboration ein neuartiges Metamaterial entwickelt, durch das sich Schallwellen auf völlig neue Art und Weise…

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Partner & Förderer