Warum die Unechte Karettschildkröte immer zu ihrer Geburtsinsel zurückkehrt

Steht auf der Liste der bedrohten Arten: Die Unechte Karettschildkröte. <br>Foto: V. Stiebens, GEOMAR <br>

Evolutionsbiologen des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel haben jetzt erstmals mit genetischen Methoden nachgewiesen, dass Weibchen der Unechten Karettschildkröte ihre Eier fast immer auf derselben Insel legen, auf der sie selbst geboren wurden. Männchen sind dagegen weniger ortstreu. Dieses Verhalten hat bestimmte evolutionäre Vorteile, wie die Forscher in der aktuellen Ausgabe der internationalen Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences“ darlegen.

Fachleute schätzen, dass weltweit über 15.000 Arten vom Aussterben bedroht sind. Betroffen sind auch alle Arten der Meeresschildkröten, darunter die Unechte Karettschildkröte. Viele Wissenslücken zum Verhalten dieser faszinierenden Meeresbewohner machen einen effektiven Schutz schwierig. Gerade die Unechte Karettschildkröte ist in diesem Zusammenhang ein besonders interessanter Fall: Warum wandern die Tiere zigtausende von Kilometern durch die Weltmeere, bevor sie nach ungefähr 25 Jahren zur Fortpflanzung an ihren Geburtsort zurückkehren?

Um diese Frage zu beantworten, haben Evolutionsbiologen des GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel die Brutpopulation der Unechten Karettschildkröte auf den Kapverdischen Inseln genauer untersucht. Die Inselgruppe vor Westafrika ist die weltweit drittgrößte Brutregion für die Schildkrötenart. Wie die Forscher in der aktuellen Ausgabe der „Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences“ darlegen, konnten sie erstmals mit genetischen Methoden nachweisen, dass die Weibchen zur Eiablage sehr präzise die Insel aufsuchen, auf der sie einst geboren worden sind. Männchen dagegen sind weit weniger ortstreu. „Vor allem konnten wir in den Genen der Schildkröten Hinweise finden, die dieses Verhalten evolutionär durchaus sinnvoll erscheinen lassen“, sagt Victor Stiebens, Erstautor der Studie.

Die Inselgruppe der Kapverden besteht aus insgesamt 15 Inseln in zwei größeren Untergruppen. Die GEOMAR Biologen nahmen winzige Hautproben von Schildkröten auf mehreren Inseln. Mit verschiedenen genetischen Methoden untersuchten und verglichen sie die Gewebeproben. Dabei fanden die Forscher heraus, dass die Tiere, die zur Eiablage auf die Kapverden kommen, eine verblüffende Ortstreue bewiesen. „Wir waren fasziniert, dass die Weibchen exakt auf die Insel zurückkehrten, auf der sie vor über 20 Jahren geschlüpft waren”, sagt Stiebens.

Zusätzlich sahen die Forscher sich in den Gewebeproben bestimmte Gengruppen genauer an, die für Abwehrkräfte gegen Parasiten und Krankheiten verantwortlich sind. Tatsächlich unterschieden sich diese Gruppen bei Tieren von geographisch gesehen am weitesten voneinander entfernten Inseln. „Die Weibchen vererben also Abwehrkräfte genau gegen die Gefahren, die auf der jeweiligen Brutinsel auf den Nachwuchs warten“, erklärt Dr. Christoph Eizaguirre, Leiter der Schildkrötengruppe am GEOMAR und ebenfalls Autor der Studie.

Neben diesem Vorteil birgt die extreme Ortstreue gerade für Arten mit einer kleinen Population aber auch ein Risiko. Denn sie könnte dazu führen, dass sich immer nur sehr eng verwandte Tiere miteinander paaren. Inzucht und langfristig genetische Defekte wären die Folge. Doch die Autoren der Studie fanden heraus, dass die Evolution auch dafür eine Vorkehrung getroffen hat. Denn die Männchen der Unechten Karettschildkröte sind deutlich weniger wählerisch bei der Wahl des Paarungsortes als die Weibchen. „Männchen scheinen in einer größeren Region nach Partnerinnen zu suchen”, erklärt Stiebens. „Diese geschlechtspezifischen Verhaltensweisen sorgen für eine gewisse genetische Varianz unter den einzelnen Inseln“, ergänzt Eizaguirre, „gleichzeitig bleiben aber die Genmuster erhalten, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben, um in einer ganz bestimmten Region vor Krankheiten und Parasiten besser geschützt zu sein“.

Die Studie ergänzt ein weiteres Puzzlestück im Wissen um die Lebensweise der Unechten Karettschildkröte. „Je mehr wir wissen, desto besser kann man die Art auch schützen“, erklärt Dr. Eizaguirre. Die Studie zeige aber auch, dass gerade bei einer so kleinen Population wie der der Unechten Karettschildkröte jede Brutinsel eine große Rolle spiele. „Deshalb sollten möglichst viele Brutplätze auf den Kapverden und anderen Inselgruppen erhalten bleiben“, betont der Schildkrötenspezialist.
Originalarbeit:
Stiebens, V. A., Merino S. E. , Roder C., Chain F. J. J., Lee P. L. M., Eizaguirre C. (2013): Living on the edge: how philopatry maintains adaptive potential. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences. http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2013.0305

Weitere Informationen:

http://www.geomar.de
Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
http://turtle-project.ifm-geomar.de/
Das Schildkrötenprojekt auf den Kapverdischen Inseln

Media Contact

Andreas Villwock idw

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Physiker Professor Simon Stellmer von der Universität Bonn beim Justieren eines Lasers, der für Präzisionsmessungen eingesetzt wird.

Simon Stellmers GyroRevolutionPlus erhält ERC-Zuschuss von 150 000 € für Katastrophenwarnungen

Europäischer Forschungsrat fördert Innovation aus der Physik an der Uni Bonn „Mit GyroRevolutionPlus verbessern wir die Messgenauigkeit von Ringlaserkreiseln, sogenannten Gyroskopen, mit denen wir langsame und tiefliegende Erdrotationen oder auch…

Unterschiedlich regulierte kleine RNAs aus Blut oder Haut sind mögliche Biomarker, die in Zukunft helfen könnten, Fibromyalgie schneller und besser zu diagnostizieren und damit unter anderem die Stigmatisierung abzubauen.

Objektive Diagnose von Fibromyalgie: Neue Innovationen Erklärt

Prof. Dr. Nurcan Üçeyler und Dr. Christoph Erbacher von der Neurologischen Klinik des Uniklinikums Würzburg (UKW) haben ihre neuesten Forschungsergebnisse zum Fibromyalgie-Syndrom (FMS) in der Fachzeitschrift Pain veröffentlicht. Sie fanden…

Links: EHT-Bilder von M87* aus den Beobachtungskampagnen 2018 und 2017. Mitte: Beispielbilder aus einer generalrelativistischen magnetohydrodynamischen (GRMHD) Simulation zu zwei verschiedenen Zeiten. Rechts: Dieselben Simulations-Schnappschüsse, unscharf gemacht, um der Beobachtungsauflösung des EHT zu entsprechen.

Die neueste M87-Studie des EHT bestätigt die Drehrichtung des Schwarzen Lochs

Erster Schritt auf dem Weg zu einem Video vom Schwarzen Loch FRANKFURT. Sechs Jahre nach der historischen Veröffentlichung des ersten Bildes eines Schwarzen Lochs stellt die Event Horizon Telescope (EHT)…