„Lückenfüller“ POLΘ als neuer Ansatz für Krebstherapien

Sara Bernardo, Joanna I. Loizou, Anna Schrempf
Fotos: Dominik Kirchhofer, Klaus Pichler, Laura Alvarez/CeMM

WissenschafterInnen der Forschungsgruppe von Joanna Loizou am CeMM, dem Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, sowie der Medizinischen Universität Wien, konnten in einer aktuellen Studie das Enzym POLΘ und seine Rolle im DNA-Reparaturmechanismus genauer charakterisieren.

Die Studie, publiziert in Cell Reports, zeigt erstmals, dass POLΘ zum „Lückenfüller“ beim DNA-Einzelstrangbruch wird, und belegt damit seine wichtige Rolle für das „Überleben“ von BRCA1-mutierten Krebszellen. Das Inhibieren von POLΘ stellt somit einen neuen Ansatz für die Entwicklung spezifischer Therapien für KrebspatientInnen mit BRCA1 Mutation dar.

Ein zentraler Marker für Brust- und Eierstockkrebs ist BRCA1 (engl. BReast CAncer Gene 1), ein Protein, welches im körpereigenen Reparaturmechanismus der DNA eine wichtige Rolle spielt. Ist dieses mutiert, kann Krebs entstehen. Laut Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs des AKH Wiens geht man davon aus, dass bei verändertem BRCA1 oder BRCA2 Gen bei Frauen die Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs zu erkranken bei bis zu 85%, und die Wahrscheinlichkeit an Eierstockkrebs zu erkranken bei bis zu 53% liegt.

Während Mutationen in BRCA1/BRCA2 unkontrolliertes Zellwachstum unterstützen, führen sie auch zur Destabilisierung des genetischen Materials der Krebszelle. Aufgrund dessen sind solche Krebszellen auf andere Reparaturmechanismen angewiesen, die diese Destabilisierung kompensieren. Die Abhängigkeit der Zellen mit mutiertem BRCA1 oder BRCA2 Gen von anderen Genen kann auch als „Achilles-Ferse“ von Krebszellen betrachtet werden, da das Zurückgreifen auf andere DNA-Reparaturgene zu einer synthetisch letalen Beziehung, zu Abhängigkeiten, führen kann.

Joanna Loizou, vormals Forschungsgruppenleiterin am CeMM sowie Associate Professor am Comprehensive Cancer Center der Medizinischen Universität Wien, erklärt: „Die Synthetische Letalität als Therapiekonzept zur Behandlung von Brust- und Eierstockkrebs erlaubt es, spezifisch die Teilung von Krebszellen zu unterbinden, während gesunde Zellen davon nicht betroffen sind. Wir hemmen dabei jene Gene, von denen ein mutiertes BRCA1 abhängig ist. Derartige Therapiekonzepte haben im Allgemeinen viele Vorteile gegenüber traditioneller Chemotherapie.“

POLΘ füllt Lücken bei Einzelstrangbruch

Studienautorin Anna Schrempf widmete sich gemeinsam mit Co-Autorin Sara Bernardo dem Gen POLΘ (DNA-Polymerase theta), das ebenso Teil des zellulären DNA-Reparaturmechanismus und mit BRCA1 synthetisch letal ist. POLΘ ist eine DNA-Polymerase, welche eine Schlüsselrolle bei der Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen spielt. In ihrer Studie, erschienen in Cell Reports, konnten die WissenschafterInnen zeigen, dass POLΘ darüber hinaus auch beim Einzelstrangbruch der DNA, der besonders bei BRCA1 mutierten Zellen auftritt, aktiviert wird und die dabei entstehenden Lücken füllt. „Im Gegensatz zu früheren Studien zeigen wir damit eine bisher unbeschriebene Funktion von POLΘ.

Ein besseres Verständnis von POLΘ gibt grundlegenden Aufschluss über die DNA-Reparaturmechanismen und zeigt, dass POLΘ eine wichtige Rolle in der DNA-Replikation spielt. Durch das medikamentöse Inhibieren von POLΘ können wir das genetische Material von Krebszellen mit mutiertem BRCA1 destabilisieren, weitere Zellteilungen verlangsamen und so das Wachstum stoppen“, erklärt Schrempf.

Ein ähnlicher Zugang wurde in der Krebstherapie bereits erfolgreich durch das Inhibieren von PARP gewählt, einem Protein, welches – ähnlich wie POLΘ – mit BRCA1 synthetisch letal ist. In der Praxis erwiesen sich die PARP-basierten Therapien zwar als sehr erfolgreich, allerdings zeigte sich auch, dass Patientinnen und Patienten im Rahmen der Therapie Resistenzen entwickelten. „Umso wichtiger ist es, die Prozesse unserer DNA-Reparaturmechanismen genau zu verstehen und zusätzliche, potenzielle Therapiepfade zu identifizieren“, so Loizou.

Joanna I. Loizou startete 2011 als Principal Investigator ihre eigene Forschungsgruppe am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 2020 bis Sommer 2022 war die Zellbiologin Gruppenleiterin am Institut für Krebsforschung der MedUni Wien, Mitglied des Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien und des AKH Wien und blieb bis 2022 CeMM Adjunct Principal Investigator. Seit August 2022 ist Joanna I. Loizou Direktorin des Translational Medicine Departments bei AstraZeneca (Cambridge, UK). In ihrer Forschung widmete sich Loizou insbesondere der Untersuchung der Reaktionswege mit denen Zellen auf DNA-Schäden reagieren, um das Genom zu schützen und Krankheiten zu verhindern. Schon während ihres PhD Studiums in Biochemie an der University of Manchester und ihrer Zeit als Postdoktorandin der International Agency for Research on Cancer (IARC) der World Health Organisation (WHO) sowie am London Research Institute (LRI) entstanden wichtige Beiträge zu diesem Forschungsgebiet. 2020 erhielt sie einen ERC Synergy Grant. Von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wurden sie im gleichen Jahr mit dem Johann-Wilhelm-Ritter-von-Mannagetta-Preis für Medizin ausgezeichnet.

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen.
Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien.
www.cemm.at

Die Medizinische Universität Wien (kurz: MedUni Wien) ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit 6.000 MitarbeiterInnen, 30 Universitätskliniken und zwei klinischen Instituten, 13 medizintheoretischen Zentren und zahlreichen hochspezialisierten Laboratorien zählt sie zu den bedeutendsten Spitzenforschungsinstitutionen Europas im biomedizinischen Bereich. Die MedUni Wien besitzt mit dem Josephinum auch ein medizinhistorisches Museum. www.meduniwien.ac.at

Originalpublikation:

Anna Schrempf, Sara Bernardo, Emili A. Arasa Verge, Miguel A. Ramirez Otero, Jordan Wilson, Dominik Kirchhofer, Gerald Timelthaler, Anna M. Ambros, Atilla Kaya, Marcus Wieder, Gerhard F. Ecker, Georg E. Winter, Vincenzo Costanzo, Joanna I. Loizou,
POLθ processes ssDNA gaps and promotes replication fork progression in BRCA1-deficient cells, Cell Reports, 2022,111716, ISSN 2211-1247,
https://doi.org/10.1016/j.celrep.2022.111716.

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