Das Herbarium als Geschichtsbuch – dem Erreger der Kartoffelfäule auf der Spur

Kartoffelblatts aus der Sammlung der Kew Gardens aus dem Jahr 1847, gesammelt auf dem Höhepunkt der irischen Hungersnot. Es ist als „Botrytis infestans“ beschriftet, da es noch nicht bekannt war, dass es sich nicht um einen Echten Mehltau (Botrytis) handelt.<br><br><br>Marco Thines/Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung<br>

Für Botaniker waren Herbarien, in denen Belege getrockneter Pflanzen über Jahrhunderte aufbewahrt werden, schon immer ein Schatz. Doch auch Molekulargenetiker werden die wertvollen Sammlungen in Zukunft weit umfangreicher nutzen als bisher.

In einer bahnbrechenden Studie hat ein internationales Team von Wissenschaftlern, darunter Forscher vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, gezeigt, dass aus historischen Proben das Erbgut von Pflanzen ebenso wie das ihrer Krankheitserreger sehr akkurat ausgelesen werden können. Herbarien sind also eine reiche und bislang kaum genutzte Quelle, um mehr über die historische Verbreitung von Pflanzen und ihren Schädlingen zu erfahren – und damit auch über die Geschichte des Menschen.

Phytophthora infestans schrieb Geschichte, als der Erreger 1845 und in den darauf folgenden Jahren große Teile der europäischen Kartoffelernte vernichtete. Kein Land wurde dabei so hart von der Kartoffelfäule getroffen wie Irland. Die große Hungersnot dort war ein einschneidendes Ereignis in der europäischen und amerikanischen Geschichte. Eine Million Iren verhungerten, mindestens eine weitere Million verließ das Land – die meisten davon in Richtung USA. Bis heute hat die Bevölkerungszahl Irlands nicht die Höhe von vor der Hungersnot wieder erreicht.

Bis vor etwa 40 Jahren gab es in Nordamerika und in Europa nur einen einzigen P. infestans Typ, genannt US-1. Der US-1 Stamm galt daher lange auch als Verursacher des fatalen ersten Ausbruchs im 19. Jahrhundert. Aus der Analyse eines ersten, winzigen Erbgutschnipsels schloss man jedoch 2001, dass der historische Erregertyp stattdessen näher mit den heute vorherrschenden Stämmen verwandt gewesen sein soll.

Die aktuelle Studie widerlegt diese paradoxe Ansicht: Der historische Erreger, den das Forscherteam HERB-1 genannt hat, ist demnach zwar nicht mit dem US-1 Stamm identisch, aber sehr nahe mit ihm verwandt. „Beide Linien haben sich vermutlich erst Jahre vor dem großen europäischen Ausbruch voneinander getrennt“, erläutert Burbano. Die neuen Befunde stimmen damit auch mit den historischen Erkenntnissen überein, dass die Kartoffelfäule höchstwahrscheinlich über Nordamerika nach Europa kam. „Es war eine regelrechte Pandemie“, so Erstautor Kentaro Yoshida vom Sainsbury Laboratory im Norwich – und Irland war nur der erste, besonders traurige Höhepunkt. HERB-1 wütete weltweit über 50 Jahre lang, ohne dass es großer genetischer Veränderungen bedurfte. Erst im 20. Jahrhundert, nachdem neue Kartoffelsorten eingeführt worden waren, wurde HERB-1 von US-1 als erfolgreichster P. infestans Stamm abgelöst.

Grundlage für die umfangreichen Schlussfolgerungen war die Analyse des gesamten Erbguts von Phytophthora und seinen Kartoffelwirten aus elf historischen Proben. Diese waren in Irland, Großbritannien, Kontinentaleuropa und Nordamerika gesammelt und in den Herbarien der Botanischen Staatssammlung München und der Kew Gardens in London aufbewahrt worden. „Beide Herbarien haben uns viel Vertrauen entgegengebracht und sind sehr großzügig bei der Bereitstellung der getrockneten Pflanzen gewesen“, betont Marco Thines vom Senckenberg-Museum und der Goethe-Universität in Frankfurt, einer der Koautoren.

„Der Erhaltungsgrad der DNA aus den Herbarien hat uns sehr überrascht“, sagt Johannes Krause von der Universität Tübingen, ebenfalls Koautor. Die bemerkenswerte Qualität und Quantität der DNA in den elf Herbarbelegen erlaubte es dem Forscherteam, das gesamte Erbgut von Phytophthora infestans innerhalb von wenigen Wochen auszulesen.

Die Wissenschaftler verglichen die historischen Proben mit modernen Stämmen sowie mit zwei nah verwandten Phytophthora-Arten. Aufgrund der 150 Jahre langen Zeitspanne, über die die einzelnen Proben gesammelt worden waren, konnten die Wissenschaftler genau abschätzen, wann sich die verschiedenen Phytophthora-Stämme voneinander trennten. Auch hier fanden sich Zusammenhänge mit historischen Ereignissen. So fällt der erste Kontakt zwischen Amerikanern und Europäern in Mexiko genau in die Zeit, in der die genetische Vielfalt von P. infestans einen großen Schub erfuhr. Vermutlich wurde der Erreger damals, zu Beginn des 16. Jahrhunderts, von seinem Ursprungsort im mexikanischen Tolucatal schlagartig weiter verbreitet. Dadurch kam es wohl zu einer Beschleunigung seiner Evolution.

Der historische HERB-1 Stamm ist aus modernen Ausbrüchen bislang nicht bekannt. „Womöglich ist dieser Erregertyp ausgestorben, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten resistenten Kartoffelpflanzen gezüchtet wurden“, spekuliert Yoshida. „Auf jeden Fall sind die Erkenntnisse aus dieser Studie sehr wertvoll, um die Dynamik von neu auftretenden Krankheitserregern besser zu verstehen.“ Darüber hinaus kann man davon ausgehen, dass bald viele weitere in Herbarien schlummernde Schätze gehoben werden.

Originalpublikation:
Kentaro Yoshida et al.
Herbarium metagenomics reveals the rise and fall of the Phytophthora lineage that triggered the Irish potato famine
eLife, in press, doi 10.7554/elife.00731

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Detlef Weigel
Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
Telefon: +49 7071 601-1410
E-Mail: detlef.weigel@­tuebingen.mpg.de

Nadja Winter
Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
Telefon: +49 7071 601-444
Fax: +49 7071 601-359
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Dr Harald Rösch Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.­tuebingen.mpg.de

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