Wie das Gehirn Neues lernt
Das Gehirn ist eines der wichtigsten Organe in unserem Körper. Im Gehirn laufen alle relevanten Informationen der Sinnesorgane zusammen und werden verarbeitet.
Allerdings sind die komplexen Prozesse der Informationsverarbeitung und -speicherung bei weitem noch nicht in allen Details bekannt. Insbesondere die Frage, wie das Gehirn mit neuen Informationen umgeht und auf diese Weise „lernt“, beschäftigt die Forschung seit mehreren Jahren.
Ein internationaler Forschungsverbund unter Leitung von Prof. Dr. Mark Greenlee vom Institut für Psychologie der Universität Regensburg ging in diesem Zusammenhang der Frage nach, wie das Gehirn neues Wissen erwirbt. Der Verbund wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziell unterstützt. Die Ergebnisse des Projekts „Hirnplastizität und perzeptuelles Lernen” wurden nun Anfang Juni 2011 während eines Workshops in Regensburg vorgestellt.
An dem Forschungsverbund waren Wissenschaftler der Universitäten in Regensburg, München (LMU), Ulm und Barcelona beteiligt. Das Ziel des Projekts war es, die neuronale Vernetzung im menschlichen Gehirn über Experimente und die Entwicklung von Computermodellen zu untersuchen. Im Zentrum stand dabei die Fähigkeit des Gehirns, sich auf neue und unbekannte Aufgaben einzulassen und sich entsprechend anzupassen. Kenntnisse aus den Neurowissenschaften und der Informatik sollten gezielt kombiniert werden, um die einzelnen Hirnaktivitäten abbilden zu können und darüber hinaus Vorhersagen über künftige Lernprozesse im Gehirn treffen zu können.
Der Forschungsverbund ging zu diesem Zweck arbeitsteilig vor. Das Regensburger Team von Prof. Greenlee konnte durch Kernspinuntersuchungen Veränderungen bei der Aktivierung von Gehirnregionen nachweisen, die an der Betrachtung und Bewertung von komplexen Bewegungsmustern beteiligt waren. Bei den Probanden zeigte sich, dass die Aktivierung der jeweiligen Hirnregionen immer mehr abnahm, je „vertrauter“ die einzelnen Bewegungsmuster wurden. Die Regensburger Forscher konnten zudem nachweisen, dass sich dabei Feedback negativ auf den Lernerfolg auswirkt. Versuchspersonen, denen beständig Auskunft darüber erteilt wurde, ob sie ein Bewegungsmuster richtig oder falsch bewertet hatten, zeigten eine schlechtere Lernleistung als diejenigen, die keinerlei Rückmeldung erhielten. Für die Analyse wurde ein neuartiges Verfahren angewandt, das am Regensburger Institut für Biophysik und physikalische Biochemie unter der Leitung von Prof. Dr. Elmar Lang entwickelt wurde. Das Verfahren zeichnet sich dadurch aus, dass es räumliche und zeitliche Zusammenhänge präziser beschreiben kann als konventionelle Ansätze, was auch die Analyse von schnellen Augenbewegungen erleichtert.
In der Münchner Arbeitsgruppe (Prof. Dr. Josef Zihl) widmeten sich die Forscher der Untersuchung von Patienten mit Gesichtsfeldausfällen nach einem Schlaganfall. Hier konnte nachgewiesen werden, dass die Betroffenen durch ein systematisches Wahrnehmungstraining wieder einen größeren Überblick und eine bessere Lesefähigkeit erreichen können, indem sie lernen, den Gesichtsfeldausfall durch Blickbewegungen zu ersetzen. Dabei wurde auch der Einfluss des Alters näher untersucht. Es zeigte sich, dass ältere Probanden zwar verschiedene Aufgaben langsamer lösten als junge Probanden, die Genauigkeit aber unbeeinträchtigt blieb.
Den Wissenschaftlern aus Ulm (Prof. Dr. Heiko Neumann) und Barcelona (Prof. Dr. Gustavo Deco) gelang es, Verfahren zur modellhaften Darstellung von neuronalen Lernprozessen und Lernstrategien weiter zu entwickeln. Die neuen Verfahren sind nun in der Lage, Abweichungen der Hirnaktivität während des Erlernens komplexer Bewegungsmuster vorherzusagen. Während der Entwicklung stellte sich heraus, dass unbewusst wahrgenommene Informationen einen großen Einfluss ausüben. Lernprozesse finden im Modell selbst dann statt, wenn die zum Lernen notwendige Information nur unterschwellig präsentiert wird.
Im Rahmen des Regensburger Workshops wurden die Teilergebnisse der einzelnen Arbeitsgruppen zusammengeführt und diskutiert. Auf dieser Grundlage wollen die Forscher ihre Arbeit in den nächsten Jahren vor allem auf den Gebieten der neuronalen Plastizität und des Lernens fortsetzen.
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt unter:
http://brain-plasticity.org/
Ansprechpartner für Medienvertreter:
Prof. Dr. Mark Greenlee
Universität Regensburg
Institut für Psychologie
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