Die Vermessung der Chemie: Wasserstoffbrücken-Bindungen experimentell erfasst
Moleküle setzen sich aus Atomen zusammen, die zueinander bestimmte Abstände und Winkel einnehmen. Die Gestalt eines Moleküls kann sich verändern, zum Beispiel durch die Nachbarschaft zu anderen Molekülen, durch äußere Kräfte und Anregungen oder auch wenn ein Molekül eine chemische Verbindung mit einem anderen Molekül eingeht.
Ein nützliches Konzept, um die möglichen Änderungen in Molekülen zu beschreiben, sind sogenannte Potenzialflächen oder Energielandschaften: Dies sind jedoch keine Flächen im realen Raum! Vielmehr betrachtet man Parameter, die das Molekül definieren, und stellt diese als Fläche dar, beispielsweise die Ausdehnung einer Kohlenstoff-Sauerstoff-Verbindung oder die Winkel zwischen verschiedenen Molekülgruppen.
Solche Flächen kann man sich als hügelige Landschaften vorstellen: Wenn Licht einen Teil des Moleküls zu Schwingungen anregt, wandert der Zustand des Moleküls energetisch aufwärts, vielleicht sogar über einen Pass oder Gipfel hinweg. Schließlich kommt das Molekül wieder in das vorherige Energieminimum zurück oder landet in einer anderen Energiemulde, die veränderten Winkeln oder Verbindungslängen entspricht. Manche dieser Veränderungen lassen auf Wasserstoffbrückenbindungen mit benachbarten Molekülen schließen.
Gezielt C=O-Bindung zu Schwingung angeregt und Antwort gemessen
Das Team um Annette Pietzsch und Alexander Föhlisch hat es nun erstmals geschafft, diese sehr subtilen Potenzialflächen rund um das kleine Molekül Azeton (C3H6O) genau auszumessen. Sie nutzten dafür die Methode der inelastischen Röntgenstreuung (RIXS) an der Swiss Light Source des Paul Scherrer-Instituts (PSI) in der Schweiz. „Wir haben gezielt die Doppelbindung zwischen dem Kohlenstoff- und Sauerstoff-Atom in Azeton zu Schwingungen angeregt und die Antworten darauf genau analysiert“, erklärt Annette Pietzsch. Durch die extrem hohe Auflösung der Messdaten gelang es ihnen, die Potenzialfläche entlang dieser C=O-Doppelbindung zu kartieren.
Wasserstoffbrücken hinterlassen Fingerabdruck
Im zweiten Teil des Experiments untersuchten sie eine Mischung aus Azeton und Chloroform; diese flüssige Mischung wird als azeotrop bezeichnet, das heißt, durch Destillation lassen sich die beiden Zutaten nicht mehr voneinander trennen. Nun konnten die Wissenschaftler erstmals experimentell beobachten, wie sich die Azeton-Moleküle über Wasserstoffbrücken dicht mit den Chloroform-Molekülen vernetzen: Aus den Messdaten konnten sie auf den Fingerabdruck von Wasserstoffbrückenbindungen schließen, die sich zwischen der C=O-Gruppe der Azeton-Moleküle und den Wasserstoff-Gruppen der Chloroform-Moleküle bilden.
Nützliches Werkzeug entwickelt
„Die Ergebnisse ermöglichen erstmals die quantitative Vermessung von multidimensionalen Potenzialflächen von Molekülen. Solche komplexen Potenzialflächen sind per se ein spannendes Untersuchungsobjekt, denn sie beschreiben auch, wie sich zum Beispiel biologisch aktive Moleküle in ihrer Umgebung verhalten. Wir haben nun ein Werkzeug entwickelt, um solche Potenzialflächen experimentell zu kartieren“, schreibt das Team in seinem Beitrag, der im renommierten Nature Scientific Reports erschienen ist.
Annette Pietzsch arbeitet an der Berliner Synchrotronquelle BESSY II am Aufbau von METRIXS, einem Instrument für die Resonante Inelastische Röntgenstreuung, das in Zukunft noch deutlich bessere Auflösungen erreichen kann. Weiterhin wird das Experiment meV-RIXS hochaufgelöste Röntgenstreuung im Niederenergiebereich möglich machen. Alexander Föhlisch leitet das HZB-Institut für Methoden und Instrumentierung der Forschung mit Synchrotronstrahlung und ist Sprecher des Helmholtz Virtual Institute 419 (Dynamic pathways in multidimensional landscapes).
Nature Scientific Reports | 6:20054 | DOI: 10.1038/srep20054
Ground state potential energy surfaces around selected atoms from resonant inelastic x-ray scattering, Simon Schreck, Annette Pietzsch, Brian Kennedy, Conny Såthe, Piter S. Miedema, Simone Techert, Vladimir N. Strocov, Thorsten Schmitt, Franz Hennies, Jan-Erik Rubensson & Alexander Föhlisch.
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.helmholtz-berlin.de/Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Wie die Nähindustrie wieder nach Europa kommen könnte
100.000 Euro DBU-Gelder für automatisierten Nähroboter Osnabrück. Die goldenen Zeiten der Nähindustrie mit vielen Standorten in Deutschland und Europa liegen schon eine Weile zurück. Billiglohnländer in Asien statt Europa wurden…
HZB-Patent zur Halbleitercharakterisierung geht in die Serienproduktion
Ein HZB-Team hat einen innovativen Monochromator entwickelt, der nun von einem Unternehmen produziert und vermarktet wird. Das Gerät ermöglicht es, die optoelektronischen Eigenschaften von Halbleitermaterialien kontinuierlich und rasch mit hoher…
Mit Künstlicher Intelligenz das Bodenverhalten prognostizieren
Klimaanpassung ist häufig mit Baumaßnahmen verbunden: Etwa von Deichen, Windenergieanlagen oder Pfählen zur Nutzung der Erdwärme. Die Beschaffenheit von Böden ist für solche Bauprojekte ein ausschlaggebender Faktor. Sie mittels Künstlicher…