Das Korallenthermometer muss neu justiert werden

Hirnkoralle Diploria strigosa. Derartige Korallen wurden für die aktuelle Studie untersucht. Foto: Steffen Hetzinger, GEOMAR

Sie gehören zu den größten Baumeistern der Meere, sie bilden den Lebensraum für unzählige Arten von Meeresbewohnern und als Wellenbrecher schützen sie die Küsten vor Erosion – Korallen erfüllen in den Ozeanen sehr unterschiedliche Funktionen. Für die Wissenschaft sind sie außerdem wichtige Chronisten der Umwelt.

In ihren Kalkskeletten speichern die Korallen detaillierte Informationen über die Bedingungen, unter denen sie leben. Dazu gehören beispielsweise die Temperaturen oder der Salzgehalt des Meerwassers. Mit Hilfe präziser Analysemethoden können Forscher so aus abgestorbenen Korallen das Klima über zehntausende von Jahren sehr präzise rekonstruieren.

Allerdings sind Korallen auch sehr empfindliche Lebewesen. Temperaturschwankungen oder eine Trübung des Meerwassers können sie stark beeinträchtigen. „Nach dem ausgeprägten El Niño-Ereignis von 1997/98 schädigte die sogenannte Korallenbleiche etwa 16 Prozent der globalen Bestände“, sagt der Paläoozeanograph Dr. Steffen Hetzinger vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.

Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der RWTH Aachen, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der Freien Universität Berlin konnte er jetzt nachweisen, dass diese Ereignisse den Stoffwechsel und das Wachstum der Korallen so sehr beeinflussen, dass Temperaturkonstruktionen verfälscht werden können. Die Studie ist in der internationalen Fachzeitschrift Scientific Reports erschienen.

Das Korallenriff, an dem Dr. Hetzinger und seine Kollegen die Untersuchungen vornahmen, liegt an der venezolanischen Karibikküste. „Die Auswirkungen von El Niños haben die Karibik immer wieder stark getroffen. Seit Mitte der 1990er Jahre trat dort mehrmals Korallenbleiche auf“, erklärt er. Weitere Stressfaktoren wie außergewöhnliche Planktonblüten belasteten die Korallen vor Venezuela zusätzlich. „Außerdem hat eine Starkregenkatastrophe im Dezember 1999 so viel Schlamm ins Meer geschwemmt, dass die Küstengewässer über Jahre getrübt waren“, berichtet Dr. Hetzinger weiter.

Alle diese Ereignisse haben dazu geführt, dass die Korallen entlang der Küste deutlich langsamer oder gar nicht mehr wuchsen. Allerdings zeigten sich auch Unterschiede zwischen den zwei Hauptarten: Während eine nach ein paar Jahren wieder die Wachstumsraten von vor den Extremereignissen erreichte, blieb die andere dauerhaft auf einem niedrigeren Stand. Entscheidend für die Verwendung von Korallen als Klimaarchiv ist aber auch der Stoffwechsel sowie bestimmte Algenarten, mit denen die Korallen in Symbiose leben. „Als wir die Proben aus den Korallen auf bestimmte, wichtige Isotopenverhältnisse hin untersuchten, zeigten sich deutliche Verschiebungen zwischen der Zeit vor den Umweltstressereignissen und danach“, sagt Dr. Hetzinger.

Das ist insofern wichtig, weil genau diese Isotopenverhältnisse sonst als Indikatoren für bestimmte Umweltdaten wie Temperatur oder Salzgehalt dienen. „Es war zwar bekannt, dass man in den Korallenskeletten Extremereignisse wie El Niños erkennen kann. Aber unsere Studie zeigt deutlich, dass man die physiologischen Veränderungen der Korallen berücksichtigen muss, wenn man sie für Klimarekonstruktionen nutzen möchte“, fasst Dr. Hetzinger zusammen.

Originalarbeit:
Hetzinger, S., M. Pfeiffer, W.-Chr. Dullo, J. Zinke, D. Garbe-Schönberg (2016): A change in coral extension rates and stable isotopes after El Niño-induced coral bleaching and regional stress events. Scientific Reports 6, http://dx.doi.org/10.1038/srep32879

http://www.geomar.de Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

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Andreas Villwock idw - Informationsdienst Wissenschaft

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