Der Biber als Chemiker

Bibergeil (Castoreum), die getrockneten Duftdrüsen des kanadischen Bibers, zählte früher zu den wertvollsten tierischen Duft- und Wirkstoffen. Bibergeil enthält ein komplexes Substanzgemisch, darunter eine Reihe so genannter Nupharamin-Alkaloide. Viele sind in ihrer Struktur bereits aufgeklärt.

Forscher um Horst Kunz von der Universität Mainz haben nun, wie sie in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichten, die Stereochemie (exakte räumlich Struktur) einer weiteren Komponente mit einer Totalsynthese geklärt. Unter einer Totalsynthese versteht man die komplette chemische Synthese eines komplexen organischen Naturstoffes aus einfachen, gängigen Ausgangsstoffen.

Der Biber nutzt sein fett- und pheromonhaltiges Drüsensekret zur Fellpflege und markiert damit sein Revier. Früher wurde der harzartige Inhalt getrockneter Drüsen als Medizin gegen vielerlei Leiden, wie Krämpfe, „Hysterie“ und Nervosität, eingesetzt, in der Antike behandelte man gar Epilepsie damit. Die Wirkung ist durch die in Bibergeil enthaltene Salicylsäure zu erklären, eine Substanz, auf der auch Aspirin basiert. Bibergeil war so begehrt, dass der Biber vom Ausstreben bedroht war. Heute gibt es spezielle Biberfarmen, in denen die Biber ihr Sekret an speziellen Auffangbehältern abstreifen. Zudem wird Bibergeil nur noch in der Homöopathie verwendet sowie in manchen Parfüms.

Das Mainzer Team hat sich eine Minderkomponente (5-(3'-Furyl)-8-methylindolizidin) aus Bibergeil vorgenommen, deren Gehalt unter 0,0002% liegt. Im Prinzip ist die Struktur dieses Nupharamins bekannt. Es hat ein Indolizidin-Grundgerüst (spezielles Ringsystem aus einem Sechsring und zwei Fünfringen). Dennoch blieb bisher ein Detail ungeklärt: Die Stereochemie an einem der Kohlenstoffatome des Sechsrings. Die vier Bindungen eines Kohlenstoffatoms weisen in die Ecken eines Tetraeders. Vier verschiedene Bindungspartner lassen sich auf zwei verschiedene Weisen räumlich anordnen, die sich zueinander verhalten wie Bild und Spiegelbild. Ein solches Kohlenstoffzentrum nennt man chiral.

Eine der beiden möglichen Varianten des Nupharamins, die cis-trans-Form, wurde bereits sortenrein (enantioselektiv) hergestellt. Dem deutschen Team gelang nun die enantioselektive Totalsynthese beider Varianten – und damit erstmals der all-cis-Form. Sie nutzten dazu ein Kohlenhydrat als chirales Auxiliar. Das ist ein Hilfsstoff, der an ein Ausgangsprodukt angeknüpft wird und eine Seite des Moleküls während der folgenden Reaktionsschritte so abschirmt, dass nur die gewünschte stereochemische Form des Produktes entsteht.

Spektroskopische und massenspektrometrische Analysen der beiden Produkte und des aus natürlichem Bibergeil isolierten Nupharamins zeigten, dass die all-cis-Form mit dem Naturprodukt identisch ist.

Angewandte Chemie: Presseinfo 07/2009

Autor: Horst Kunz, Universität Mainz (Germany),
http://www.uni-mainz.de/FB/Chemie/AK-Kunz/akkunz.htm
Angewandte Chemie, doi: 10.1002/ange.200805606
Angewandte Chemie, Postfach 101161, 69495 Weinheim, Germany

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Dr. Renate Hoer idw

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