"Multikulti" im Krähennest

Bisher waren sich die Biologen relativ einig: In der Tierwelt paaren sich unterschiedliche Arten höchst selten und wenn doch, dann zeugen sie unfruchtbaren Nachwuchs. Weil Krähen diesbezüglich eine Ausnahme bilden, beobachtete Prof. Christoph Randler vom Institut für Biologie I der Universität Leipzig deren Familienleben.

Den Krähen erging es wie vielen anderen Tierarten: Irgendwann mal schob sich während einer Eiszeit eine gewaltige Sperre durch ihre Population. Auf beiden Seiten des eisigen Vorhanges entwickelten sich die Vögel anders. In Westeuropa entstand die Rabenkrähe mit einfarbig schwarzem, bei erwachsenen Tieren sogar stahlblau glänzendem Gefieder. Im Osten des Kontinents hingegen war die hellere Nebelkrähe heimisch.

Nach dem Ende der letzten Eiszeit und dem Abtauen der „Mauer“ kamen die einen mit den anderen in Kontakt – und interessierten sich füreinander. Das wiederum interessierte den Leipziger Biologen Prof. Randler. „Als ich wusste, dass ich von Stuttgart an die Universität Leipzig gehen werde, habe ich mir sofort fest vorgenommen: Dort untersuchst du das Hybridisieren der Krähen. Das Phänomen hatte mich schon immer fasziniert, aber jetzt erst lebe ich inmitten des schmalen Streifens von 70 bis 150 Kilometern, auf dem das stattfindet.“

Hybridisieren bedeutet im naturwissenschaftlichen Sprachgebrauch, dass Lebewesen durch Kreuzung von Eltern unterschiedlicher Zuchtlinien, Rassen oder Arten entstehen. Insofern sind Randlers Beobachtungen über den „Multikulti“-Trend bei den Krähen nicht nur interessant für Aussagen über diese Vögel, sondern stellen die Arten-Definition und manche scheinbar fest gefügte Wahrheit der Züchtungsforschung infrage.

Ausgerüstet mit Fernglas, Fotoapparat und Notizblock machte sich Randler auf den Weg ins mitteldeutsche Elbtal und registrierte rund 300 der dort lebenden Krähenpaare. „Das war möglich, weil Krähen ein relativ stabiles Territorium bewohnen. An ihrem Verhalten, also beispielsweise bei der gemeinsamen Verteidigung des Territoriums oder beim Füttern der Jungen, geben sie sich als Paar zu erkennen. Also brauchte ich nur noch zu zählen: Wie viele Paare setzten sich aus zwei Tieren einer Art zusammen und wie viele bilden einen Mix?“

Das Ergebnis: Im Osten überwiegen die homogenen Nebelkrähenpaare, im Westen die Paare aus Rabenkrähen. Dazwischen ein schmaler Streifen in dem – unter anderem – die gemischten Teams auftreten. Von den 300 beobachteten Paaren waren etwa 30 Prozent Mischpaare. Dieser Streifen mit den Mix-Paaren – so ergeben Vergleiche mit Beobachtungen von vor über 100 Jahren – wird weder breiter noch schmaler, ist tendenziell weder dichter noch spärlicher bevölkert. Der Alltag der einzelnen Paare, deren Bruterfolg und deren Gesundheit unterscheidet sich nicht von denen der homogenen Familien. Die Hybriden, also die Jungen von unterschiedlichen Eltern, erleben weder Vor- noch Nachteile, sie sind gesund und fruchtbar.

Die Vermischung ist also kein hintersinniger, gen-auffrischender „Trick“ der Natur. Warum also treiben es die Krähen so kreuz und quer? „Das wissen wir noch nicht genau“, bekennt Randler. „Möglicherweise gibt es Defizite in der Auswahl der Partner.“ Also hat die Näbelkrähe lieber die Rabenkähe in Nest als lange auf ihresgleichen zu warten? Aber nicht nur die Partnerwahl gibt Randler noch Rätsel auf. „Die Biologen versuchen jetzt herauszubekommen, warum sich die Hybrid-Zone trotz des Klimawandels im vergangenen Jahrhundert um keinen Meter verschoben hat. Die Antwort auf diese Frage kann möglicherweise einiges Grundlegende zur Reaktion der Tierwelt auf Klimaveränderungen sagen.“

Auch in anderen Zonen des Aufeinandertreffens der Krähenarten beobachten Biologen deren ineinander fließen. „Allerdings vermischen sie sich in den Alpen nicht entlang einer Linie auf der Landkarte sondern entlang der Höhendifferenzen. Es paaren sich also nicht die östlichen mit den westlichen, sondern die Berg- mit den Tal-Arten“, erläutert der Leipziger Krähen-Experte.

Marlis Heinz
weitere Informationen
Prof. Dr. Christoph Randler
Telefon: 0341 97-36651
E-Mail: randler@uni-leipzig.de

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Dr. Bärbel Adams idw

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