Vom Vorteil, anders zu sein

Ausgeprägte Charaktere: Zebrafinken zeigen in ihrem Balz- und Sexualverhalten große Unterschiede - von schüchtern bis draufgängerisch. Evolutionsbiologen fragen danach, welchen Nutzen eine derart hohe Individualität haben kann. Bild: Max-Planck-Institut für Ornithologie / Wolfgang Forstmeier

Extrovertiert oder introvertiert, selbstbewusst oder schüchtern, Macho oder Softie – wer glaubt, solche Zuschreibungen träfen nur beim Menschen zu, der irrt. Tatsächlich zeigen auch Zebrafinken ausgeprägte Unterschiede in der Persönlichkeit, insbesondere in ihrem Sexualverhalten. Wie diese Unterschiede vererbt werden und welche Folgen sich daraus für die Fitness ergeben, darüber ist bisher allerdings wenig bekannt.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen wollen herausfinden, ob es einen evolutionären Vorteil bringt, anders zu sein als die anderen. Einer unserer Autoren hat ihnen bei ihren Experimenten über die Schulter geschaut und berichtet darüber in der neuesten Ausgabe der MaxPlanckForschung (4/2006).

Zebrafinken zeigen in ihrem Sexualverhalten erstaunliche Parallelen zum Menschen: Die Vögel leben in sozialer Monogamie, das heißt, ein Pärchen bleibt in der Regel ein Leben lang zusammen. Dabei sind Seitensprünge keine Seltenheit, er wie sie geht hin und wieder fremd – mit entsprechenden Folgen. Das gilt aber nicht für jeden Vogel, manche sind auch ganz treu. Darüber hinaus gibt es unter den Zebrafinken-Männchen gute Väter und weniger gute: Manche Männchen erledigen den Großteil der elterlichen Brutfürsorge, andere überlassen dies dem Weibchen.

Wolfgang Forstmeier möchte herausfinden, welche Männchentypen unter welchen sozialen Bedingungen einen Konkurrenzvorteil besitzen. Der junge Biologe leitet eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen. An die 800 Zebrafinken hat er hier in seiner Obhut. Die hohe Vermehrungsrate von Zebrafinken erlaubt es, im Laufe weniger Jahre mehrere Generationen heranzuzüchten und so die Vererbung von Persönlichkeitsunterschieden zu untersuchen.

„Bei ausgewogenem Geschlechterverhältnis und seltenem Nachbarkontakt sollten monogam veranlagte Männchen, die eine geringe Aggressivität und einen geringen Sexualtrieb zeigen, einen Selektionsvorteil haben, da sie all ihre Energien auf die Brutfürsorge konzentrieren können“, sagt Forstmeier. „Bei Weibchenüberschuss haben Männchen mit starkem Sexualtrieb einen Vorteil, bei Weibchenmangel setzen sich vor allem die aggressiveren Männchen durch.“

Auf der Basis von standardisierten Tests stellt der Wissenschaftler zunächst den individuellen Verhaltenstypus eines Vogels fest. Anschließend werden die Tiere in geräumige Zuchtvolieren entlassen, in denen Freiland ähnliche Bedingungen herrschen. Hier können die Forscher die soziale Umgebung in der Zebrafinken-Kolonie gezielt manipulieren. Um „Monogamie-Bedingungen“ herzustellen, wird die Voliere durch Maschendraht in mehrere weitgehend getrennte Kompartimente unterteilt und mit gleich vielen Männchen wie Weibchen besetzt; jedes Pärchen besitzt seine eigene Nistbox, Futter, Wasser sowie Nistmaterial.

Mit einer Videokamera zeichnen die Forscher die Interaktionen zwischen den Vögeln auf. 4000 Videos mit mehr als 300 Stunden bewegtem Bild haben sich inzwischen angesammelt. „Wir konnten feststellen, dass schüchterne Männchen genauso häufig mit ihrer Partnerin kopulieren wie nicht schüchterne. Aber nur den weniger schüchternen Männchen gelingt es, erfolgreich außerpaarlich zu kopulieren“, erläutert Wolfgang Forstmeier. Wurden Nahrung und Nistmaterial zentral in der Mitte der Voliere platziert, die Trennwände entfernt und mehr Weibchen als Männchen eingesetzt, so stieg im Vergleich zu den Monogamie-Bedingungen der Anteil außerpaarlicher Vaterschaften von 25 auf 50 Prozent, wie die Forscher anhand genetischer Marker zur Vater- und Mutterschaftsbestimmung feststellen konnten. Und seitens der Weibchen gab es erhebliche Veränderungen zwischen den Generationen: Unter diesen Sozialbedingungen produzierten die Mütter zurückhaltende Töchter.

Dieser Effekt ließ sich nicht auf genetische Faktoren oder die Aufzuchtbedingungen zurückführen, er wurde tatsächlich über das Ei vermittelt. „Mütter können ihren Nachkommen nicht-genetische Faktoren, etwa Sexualhormone, im Eidotter mitgeben und auf diese Weise den Verhaltenstypus beeinflussen“, erklärt Forstmeier. „Wir fragen uns, ob zurückhaltende Eigenschaften bei einem Überschuss an Weibchen einen Vorteil bringen, weil Männchen unter diesen Bedingungen möglicherweise treuere Weibchen bevorzugen.“

Wenn das der Fall wäre, dann könnte es sich hier möglicherweise um eine Art „strategische Programmierung“ der Töchter durch ihre Mütter handeln. Um diese Hypothese zu überprüfen, will der Verhaltensbiologe in den kommenden Monaten die Nachkommen von Müttern aus verschiedenen sozialen Umwelten in der Voliere mit Weibchenüberschuss testen. Zurückhaltendere Weibchen sollten dann bei der Paarbildung erfolgreicher sein.

Eine ausführlichere Version dieses Textes finden Sie in der neuesten Ausgabe von MaxPlanckForschung unter der Rubrik „Faszination Forschung“. Im Schwerpunkt des Heftes beleuchten wir das Thema „Mobilität“. Was wie ein Schlagwort des 21. Jahrhunderts klingt, gehört zur Grundausstattung menschlicher Gemeinschaften und hat immer schon als Motor kultureller Entwicklung gewirkt: Die Ausbreitung der Völker und das Nomadentum afrikanischer Goldgräber sind daher ebenso Forschungsfelder der Max-Planck-Gesellschaft wie eine kritische Analyse der Privatisierungsbestrebungen von Deutscher Bahn und Flugsicherung oder die Entwicklung eines Autopiloten für die Binnenschifffahrt. Im Essay beschreibt Gastautor Ernst-Ludwig Winnacker die Ziele des neuen Europäischen Forschungsrats (ERC); Winnacker war bis Ende 2006 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und ist jetzt ERC-Generalsekretär. In der Rubrik „Wissen aus erster Hand“ erfahren Sie, wie Wissenschaftler Moleküle abbremsen. Der Kongressbericht informiert über neueste Kenntnisse aus der Erforschung von Autismus und Schizophrenie. Wie viel Innovationskraft in der Grundlagenforschung steckt lesen Sie im Beitrag über die Max-Planck-Innovation („Wie aus Wissen Wirtschaft wird“). Und unter der Rubrik „Zur Person“ porträtieren wir den Schweden Bill Hansson, Direktor am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie.

Dem Heft liegt der TECHMAX „Evolution im Reagenzglas – wie Forscher an Enzymen feilen“ bei.

MaxPlanckForschung erscheint viermal im Jahr. Das Wissenschaftsmagazin kann bei der Pressestelle der Max-Planck-Gesellschaft oder über unser Webformular abonniert werden. Der Bezug ist kostenfrei.

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Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

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