Medizin aus Schwämmen – Stuttgarter Biologen an Kompetenzzentrum BIOTECmarin beteiligt

Sie sind etwa 500 Millionen Jahre alt, kleiden sich gerne in kräftige Farben, kommen in einer unüberschaubaren Anzahl von Erscheinungsformen vor und leben bevorzugt am Meeresgrund. 9.000 verschiedene Arten sind bisher beschrieben, etwa 60.000 Arten werden vermutet. Es geht um marine Schwämme, die heute ursprünglichste Gruppe mehrzelliger Tiere. Bislang hat sich nur der eine oder andere Biologe mit diesen Vielzellern ausführlicher befasst. Inzwischen ist das Interesse der Wissenschaftler sozusagen „geballt“ in einem Kompetenzzentrum BIOTECmarin gebündelt. Hintergrund dafür sind ganz besondere Fähigkeiten dieser Schwämme, die die Evolution zu Spezialisten der chemischen Verteidigung hat werden lassen.

Biologisch aktive Substanzen nutzen
Dies war für die meist an Felsen am Meeresgrund verankert lebenden Tiere überlebensnotwendig, da sie nicht fliehen konnten und ohne den Einsatz biologisch aktiver Substanzen entweder Bakterien schutzlos ausgesetzt wären oder von Algen überwuchert würden. Diese bioaktiven Substanzen sind von hohem pharmazeutischen Wert, konnten bisher jedoch nicht in größerem Maßstab genutzt werden. An diesem Punkt setzt das neue Kompetenzzentrum BIOTECmarin an, mit dem neue Wege zur schonenden und nachhaltigen Nutzung der Rohstoffquelle Schwamm entwickelt werden sollen. Mit insgesamt rund vier Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium unterstützt, arbeiten seit wenigen Wochen zehn Forschergruppen gemeinsam auf diesem Feld; etwa 800.000 davon fließen an die Universität Stuttgart. Beteiligt sind neben der Uni Stuttgart die Universitäten Mainz, Düsseldorf, Kiel und Würzburg sowie ein Ingenieurbüro aus Mannheim und die Meeresbiologische Station in Rovinj (Kroatien). Ziel ist es, die vorhandenen Kenntnisse zu bündeln, zu erweitern und in biotechnologische Verfahren umzusetzen. Dazu werden die Schwämme und die mit ihnen zusammenlebenden Mikroorganismen artgenau bestimmt. Anschließend soll versucht werden, sie in sogenannten „Marikulturen“ direkt im Meer sowie auch in Zellkulturen zu züchten und die medizinisch interessanten Wirkstoffe zu isolieren und zu charakterisieren. Auch mit einer Schwamm-Genomanalyse oder durch chemische Synthesen wollen die Wissenschaftler die bioaktiven Substanzen gewinnen.

Wirkstoffe gegen Tumoren und Viren
Derartige Substanzen mit medizinisch nutzbarem Potential sind zahlreich, berichtet Dr. Franz Brümmer vom Biologischen Institut der Uni Stuttgart: so sondert beispielsweise ein intensiv rot gefärbter Schwamm aus dem Golf von Aquaba das Eatrunculin ab, eine Verbindung, die als sehr wirksamer Fressschutz gegen Fische dient, gleichzeitig jedoch antitumoral und antiviral wirkt. Auch eine Substanz, die gegen die Immunschwäche AIDS eingesetzt werden kann, wurde aus Schwämmen isoliert und in Zellkulturversuchen erfolgreich getestet: das in großen Mengen im Schwamm Dysidea avara vorkommende Avarol, das AIDS-Viren abtötet. Und das sind nur zwei aus einer Vielzahl möglicher Anwendungen, da die in Schwämmen vorkommenden Wirkstoffe eine ganze Palette pharmazeutisch nutzbarer Eigenschaften von anitbakteriell über fungizid bis zu virostatisch aufweisen. Im Rahmen des Kompetenzzentrums werden die beteiligten Forschergruppen eine Verwertungsgesellschaft gründen. Aufgabe dieses Unternehmens wird es sein, die wirtschaftlich verwertbaren Ergebnisse zu patentieren, Lizenzen zu vergeben, Forschungsprojekte zu finanzieren und eigene Produkte zu entwickeln, die über Partner produziert und vertrieben werden.
Das Kompetenzzentrum BIOTECmarin wird aus Anlass der Namensgebung der von Stuttgarter Wissenschaftlern in der Stuttgarter Wilhelma entdeckten neuen Schwammart Tethya wilhelma am 15. Februar im Zoologisch-Botanischen Garten der Öffentlichkeit vorgestellt

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Ursula Zitzler idw

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