Rezepte gegen Unfruchtbarkeit
Wissenschaftler diskutieren bei einem Workshop in Japan über neueste Entwicklungen in der Stammzellforschung
In der Forschung mit Stammzellen steckt das Potenzial, eines Tages die weibliche Unfruchtbarkeit zu behandeln oder geschädigte Nerven zu reparieren und damit Querschnittgelähmten zu helfen. Darüber einig waren sich mehr als hundert Wissenschaftler, die bei einem Workshop in Kobe im Rahmen des Deutschlandjahrs über neueste Trends in der Stammzellforschung diskutierten. Organisiert wurde das Treffen gemeinsam von der Schering Forschungsgesellschaft (Berlin), der Max-Planck-Gesellschaft (München) und dem RIKEN Center for Developmental Biology (Kobe, Japan).
„Wenn wir erst einmal die Faktoren haben, mit denen sich Körperzellen in Stammzellen zurückprogrammieren lassen, wird vielleicht das therapeutische Klonen überflüssig“, sagte Hans R. Schöler, Direktor am Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster, Deutschland, am Rande eines Symposiums zur Stammzellforschung in Kobe, Japan.
Vom 1. bis 3. September 2005 trafen sich in den Räumen des RIKEN Center for Developmental Biology (CDB) Stammzellforscher aus aller Welt, um den aktuellen Stand ihrer Wissenschaft zu diskutieren. Der Workshop mit dem Titel „Stem Cells in Reproduction and in the Brain“ fand im Rahmen des Deutschlandjahres in Japan 2005/2006 statt und wurde gemeinsam von der Schering Forschungsgesellschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und dem RIKEN CDB organisiert.
„Es ist ein riesiger Fortschritt, dass die Zellbiologie zunehmend mit der Molekularbiologie kombiniert wird“, erklärte Schöler. Der Ko-Organisator des Symposiums schöpft seine Zuversicht aus einer Reihe von Vorträgen über Faktoren, die die Entstehung und Ausdifferenzierung von Stammzellen beeinflussen.
Philippe Collas von der University of Oslo, Norwegen, gelang es zum Beispiel, menschliche Hautzellen mit einem Extrakt-Gemisch aus pluripotenten embryonalen Karzinom-Zellen in ein multipotentes Stadium zurückzuversetzen. Jeong Tae Do vom Max-Planck-Institut in Münster zeigte den mehr als hundert anwesenden Wissenschaftlern, dass sich ausdifferenzierte Körperzellen sogar bis zu embryonalen Stammzellen zurückprogrammieren lassen. Er verschmolz Gehirnzellen von Mäusen mit embryonalen Stammzellen. Heraus kam eine Hybrid-Zelle mit vierfachem Chromosomensatz, die sich in ihrem molekularbiologischen Verhalten nicht von einer normalen embryonalen Stammzelle unterschied.
Andere Forscher entschlüsseln den entgegengesetzten Weg: Sie finden Stoffe, die zur Ausdifferenzierung von Stammzellen beitragen.
So präsentierte Tomohiro Kono von der Tokyo Agricultural University, Japan, die Zeugung von Mäusen durch die Verschmelzung der Kerne zweier Eizellen, statt herkömmlicher Befruchtung durch das Verschmelzen von Eizelle und Spermium. Kono hofft so, die dem Imprinting zugrunde liegenden molekularen Mechanismen aufzuklären. Er zeigte eine Methode um die mütterlichen Einflüsse auf die Gene rückgängig zu machen und väterliche Einflüsse zu simulieren. Erst dadurch gelang es ihm, eine überlebensfähige „parthenogenetische“ Maus zu generieren.
Shin-Ichi Nishikawa vom RIKEN CDB und Ko-Organisator des Symposiums, zeigte Studien über das Notch-Gen, dessen Aktivität Melanozyten-Stammzellen im Haarfollikel dauerhaft am Leben hält. Seine Überproduktion kann indes gefährlich werden. Sie induziert die verstärkte Bildung von Pigmentzellen und könnte deshalb an der Entstehung von schwarzem Hautkrebs beteiligt sein.
Nishikawa lobte die gute Zusammenarbeit der drei Gesellschaften, die sich die Organisation des Workshops teilten. „Unser RIKEN-Institut kollaboriert schon lange erfolgreich mit der Max-Planck-Gesellschaft.“ Die Zusammenarbeit mit Schering sei ebenfalls wichtig geworden, seit es in Kobe ein Forschungszentrum der Berliner Pharmafirma gebe.
„Das RIKEN CDB war einer der Gründe, warum wir unser Forschungszentrum in Kobe angesiedelt haben“, betonte Symposiumspräsident und Schering Forschungsvorstand Günter Stock. „Das Deutschland-in-Japan-Jahr bot eine gute Gelegenheit das gemeinsame Interesse von Max-Planck-Gesellschaft, RIKEN und Schering an der Stammzellforschung mit einem Workshop deutlich zu machen.“ Es sei nun mal eines der aufregendsten Gebiete der modernen Biomedizin, sagte Stock. Seine Annahme: „In 15 bis 20 Jahren haben wir wesentliche Faktoren gefunden, mit denen wir körpereigene Stammzellen zur Selbstheilung des Körpers aktivieren können.“
Zwei weitere Schwerpunkte widmeten sich der Rolle von Stammzellen in der Reproduktion und im Nervensystem. „Beides sind sehr spannende Gebiete, in denen eine Menge Unvorhergesehenes passiert“, so Shin-Ichi Nichikawa.
Als einen der Höhepunkte präsentierte Shin-Yong Moon von der Seoul National University, Korea, die Experimente zur Gewinnung der ersten menschlichen Stammzelllinien durch Klonen. „Diese Zelllinien sind nicht geeignet für die Transplantation in Menschen“, erklärte er. Es gehe ihm und seinen Kollegen derzeit ausschließlich um die Erforschung grundsätzlicher Prinzipien der Zellentwicklung und einem besseren Verständnis von Krankheiten. Bis zum therapeutischen Einsatz seien noch viele Hürden zu überwinden.
Max-Planck-Forscher Schöler und Mitinori Saitou vom RIKEN CDB erkunden die Entwicklung weiblicher Keimzellen. Schöler zeigte eine Methode, wie in Zellkultur die Ausdifferenzierung von embryonalen Mäusestammzellen in Eizellen gelingt. Darin stecke „das Potenzial, eines Tages weibliche Unfruchtbarkeit zu behandeln.“ Saitou untersucht, welche molekularbiologischen Schalter die Keimzellbildung im Organismus bedingen.
Dann widerlegte Yuichi Niikura von der Harvard Medical School in Boston, USA, das Dogma, Frauen könnten keine neuen Eizellen generieren, da in ausgereiften Eierstöcken keine Stammzellen mehr vorkommen: „Wir glauben, dass die Vorläufer von Keimzellen im Knochenmark sitzen.“ Sie würden bei Bedarf in die Ovarien einwandern und zu neuen Eizellen differenzieren. Auch dieses Resultat könnte eines Tages große klinische Bedeutung erlangen, etwa zur Behandlung der Unfruchtbarkeit von Frauen nach einer Krebstherapie.
Einen Schritt näher an der klinischen Entwicklung sind Versuche mit Stammzellen des Nervensystems.
Steve Goldman von der University of Rochester, USA, erkundet die Vorläuferzellen der Neuroglia. Diese Nerven schützende Isolierschicht (Myelin) geht bei vielen ernsten Krankheiten wie der Multiplen Sklerose zugrunde. Goldman gewann aus den Gehirnen von Unfallopfern neurale Stammzellen und züchtete daraus Vorläufer der Gliazellen. Diese pflanzte er Mäusen ein, die selbst kein Myelin produzieren können. So gelang es, die Isolierschicht um einige Nerven wieder vollständig aufzubauen.
Hideyuki Okano von der Keio University in Tokio, Japan, will Querschnittlähmungen behandeln. Er zeigte Ergebnisse seiner Untersuchungen mit einem Antikörper, der Entzündungsprozesse aufhält, die in Folge von Rückenmarkverletzungen auftreten. Dadurch gelang es ihm, die Regeneration der Nerven zu fördern. Die ersten Studien am Menschen sind bereits geplant.
Hans R. Schöler schloss das Treffen voller Ungeduld: „Die besten Meetings sind die, bei denen man vor lauter Anregungen kaum abwarten kann, wieder zurück ins Labor zu kommen – und dieses war so eines.“
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