Geografisch unterschiedliches "Lebenstempo" liegt in den Genen

Schwarzkehlchen – ein kleiner Vogel mit großen Unterschieden. Schwarzkehlchen-Populationen leben in ganz verschiedenen Klimazonen und haben sehr unterschiedliche Stoffwechselraten. Wissenschaftler der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie und der Princeton University haben jetzt nachgewiesen, dass diese Variation in den Genen der Vögel verankert ist. <br><br>Bild: Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie

Ornithologen weisen nach, dass Vögel, die in verschiedenen Klimata leben, genetisch bedingt auch eine unterschiedlich hohe Stoffwechselrate haben

Seit langem ist bekannt, dass sich der Stoffwechsel warmblütiger Tiere mit zunehmender geographischer Breite ihres Verbreitungsgebietes intensiviert. Der in der Ruhephase von Tieren gemessene Sauerstoffverbrauch ist umso höher, je weiter vom Äquator entfernt die untersuchte Tierpopulation lebt. Für diese Unterschiede gab es bisher zweierlei Erklärungen: Entweder sind sie Folge der Fähigkeit von Tieren, auf verschiedene Umweltbedingungen unmittelbar mit unterschiedlichen Stoffwechselraten zu reagieren, oder aber die Tiere haben ihren Stoffwechsel im Laufe der Evolution an die verschiedenen Umweltbedingungen angepasst. In diesem Falle wären die Unterschiede genetisch bedingt. Forscher der Princeton University/USA und der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie in Seewiesen/Andechs haben unter der Leitung von Prof. Martin Wikelski und Prof. Eberhard Gwinner jetzt am Beispiel der Schwarzkehlchen nachgewiesen, dass der Ruhestoffwechsel genetisch determiniert und Resultat der in den verschiedenen Lebensräumen unterschiedlichen Selektionsfaktoren ist (Proc. R. Soc. Lond. B, DOI 10.1098/rspb.2003.2500 (2003)).

Die meisten Reptilien leben in den wärmeren Gebieten der Erde, weil ihre niedrige Stoffwechselrate ein Leben in nördlicheren Breiten verhindert. Auf der anderen Seite zeigen Vögel und Säugetiere hohe Stoffwechselraten, die es ihnen ermöglichen, auch in kälteren Regionen zu leben, weil sie ihre Körpertemperatur weit oberhalb der ihrer Umgebung halten können. Doch viele Säugetier- und Vogelarten findet man sowohl in warmen als auch in kalten Lebensräumen und ihr Stoffwechsel kann sehr unterschiedlich zwischen den verschiedenen Populationen ausfallen. Eine Grundfrage in der Forschung ist daher: Sind diese Unterschiede Resultat direkter physiologischer Anpassungen an das lokale Klima oder der genetischen Ausstattung dieser Tiere?

Das deutsch-amerikanische Ornithologen-Team hat dazu vier unterschiedliche Populationen des Schwarzkehlchens untersucht, eine Singvogelart, die sich für vergleichende Untersuchungen besonders gut eignet. Ihr Brutverbreitungsgebiet erstreckt sich von Nordostasien über Europa bis nach Südafrika. Schwarzkehlchen aus Kasachstan brüten im kontinentalen Klima Zentralasiens; sie haben eine kurze Brutsaison und verbringen den Winter 6.000 Kilometer vom Brutgebiet entfernt in Indien und Pakistan. Im Vergleich mit diesen asiatischen Vögeln ist die Brutsaison der im gemäßigten Klima Österreichs beheimateten Vögel sehr viel länger, und ihre Zugwege in den Mittelmeerraum sind deutlich kürzer. Auch die jährliche Brutperiode der im atlantischen Klima Irlands brütenden Schwarzkehlchen ist lang; als typische Teilzieher wandern nur manche dieser Vögel im Winter weg, während der Rest der Population in Irland überwintert. Schwarzkehlchen aus dem äquatorialen Kenia schließlich haben eine lange Brutsaison und verbleiben ganzjährig in ihren Brutgebieten.

Den Max-Planck-Forschern gelang es, Vögel aller vier Populationen an der Forschungsstelle für Ornithologie in Andechs/Seewiesen zu züchten. Dadurch ergab sich die einzigartige Möglichkeit, den Ruhestoffwechsel, also den während der Ruhepause von Tieren gemessenen Sauerstoffverbrauch, der verschiedenen Populationen direkt miteinander zu vergleichen. Dabei legten die Wissenschaftler großen Wert darauf, dass die Vögel sowohl während ihrer Entwicklungsphase wie auch später während des Experiments unter exakt denselben kontrollierten Umweltbedingungen lebten. Das Ergebnis der Untersuchungen war eindeutig: Sowohl während der Ruhezeit im Januar wie auch während der Mauserperiode im Spätsommer hatten die tropischen Schwarzkehlchen aus Kenia einen konsistent niedrigeren Stoffwechsel als Schwarzkehlchen aus allen anderen Populationen. Einen signifikant höheren Stoffwechsel hatten die irischen Vögel, gefolgt von den Schwarzkehlchen aus Österreich. Die höchsten Werte fanden sich schließlich bei ihren Artgenossen aus Kasachstan.

Die verschiedenen Stoffwechselraten der vier verschiedenen Populationen gehen einher mit einer Reihe weiterer wichtiger Unterschiede in ihrer Lebensweise: So mausern sich Schwarzkehlchen aus hohen geographischen Breiten schneller und legen mehr Eier als ihre tropischen Artgenossen. Beide Unterschiede haben eine genetische Basis, wie Kreuzungsexperimente gezeigt haben. Von anderen Tiergruppen weiß man, dass auch das jugendliche Wachstum bei tropischen Arten schneller verläuft als bei verwandten Arten aus gemäßigten Breiten. In den nördlicheren Breiten scheint also der „Lebensmotor“ hochtouriger eingestellt zu sein als in den Tropen – vielleicht, weil die Tiere im Norden mit extremeren Umweltbedingungen zu kämpfen haben und zu deren Bewältigung aufwändige Mechanismen entwickelt haben. Diese erlauben ihnen beispielsweise, Energiereserven anzulegen oder als Zugvogel wegzuwandern. Möglicherweise haben auch die im Frühjahr und Sommer in den nördlichen Breiten günstigeren Ernährungsbedingungen und die dadurch bedingte höhere Fortpflanzungsrate dort die Evolution eines höheren Ruhestoffwechsels begünstigt.

Die jetzt vorgelegten Forschungsergebnisse zeigen erstmals, dass sich der Ruhestoffwechsel in einer Population aufgrund genetischer Faktoren unterschiedlich ausprägt und Teil der Verknüpfung zwischen Physiologie und Lebensweise ist. Die Befunde sind schließlich auch deshalb von Bedeutung, weil es einen Zusammenhang zwischen der Stoffwechselrate und der Lebensdauer zu geben scheint. So leben Säugetiere mit niedrigerem Ruhestoffwechsel (und langsameren Herzrhythmus) in der Regel länger als solche mit höherem, und tropische Vogelarten scheinen in der Tat länger zu leben als ihre Verwandten in höheren Breiten. „Noch sind die Ursache-Wirkungs-Beziehungen für eine solche sich andeutende Regel unklar. Doch vielleicht können bald weitere vergleichende Untersuchungen an Tieren mit großem Verbreitungsgebiet helfen, unser Verständnis dieser Zusammenhänge zu vertiefen,“ meint Prof. Eberhard Gwinner, Leiter Der Experimente in Seewiesen und Direktor an der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie.

Mit dem Nachweis, dass Stoffwechselraten auf einer genetischen Basis beruhen, stellen sich auch viele neue Fragen in der Forschung, meint Robert W. Furness vom Institute of Biomedical and Life Sciences der Universität Glasgow in seinem in „Nature“ veröffentlichten Kommentar zu diesen Forschungsergebnissen. Er fragt: „Haben etwa Inselbewohner niedrigere Stoffwechselraten in Reaktion auf ein karges Nahrungsangebot entwickelt? Welche anderen Eigenschaften wurden durch ähnliche Selektionsprozesse geprägt, wie zum Beispiel das Hervorbringen eines wärmenden Pelz- oder Federkleides, um mit Schwankungen im Stoffwechsel zurecht zu kommen? Haben Individuen mit geringerer Stoffwechselrate innerhalb einer Population ein langsameres Lebenstempo?“

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Prof. Eberhard Gwinner
Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie, Andechs/Seewiesen
Tel.: 08152 373-112, Fax: -133
E-Mail: gwinner@erl.ornithol.mpg.de

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Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

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