„Adlermörder“-Bakterium bildet noch ein weiteres tödliches Gift

Kolonie von A. hydrillicola
Bild: Lenka Štenclová

Das Cyanobakterium Aetokthonos hydrillicola bildet nicht nur ein, sondern zwei hochpotente Gifte. In der aktuellen Ausgabe des Fachjournals „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) beschreibt ein internationales Team unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Freien Universität Berlin den zweiten, bislang unbekannten Giftstoff. Bereits in geringen Konzentrationen führt dieser zum Zelltod und er ähnelt bekannten Substanzen, die gegen Krebs eingesetzt werden. Vor zwei Jahren konnte dasselbe Team zeigen, dass das erste Gift des Cyanobakteriums für eine mysteriöse Krankheit bei Weißkopfseeadlern in den USA verantwortlich ist.

Das Cyanobakterium Aetokthonos hydrillicola ist für die Forschung ein schwieriger Fall: Es ist notorisch schwer zu kultivieren und bildet einen seiner Giftstoffe nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Ungewöhnlich ist auch, dass es überhaupt gleich zwei chemisch ganz unterschiedliche Gifte bildet. In der Regel produzieren Cyanobakterien nämlich nur eines – und dieses ist seit 2021 für A. hydrillicola bekannt: Aetokthonotoxin. Entdeckt hatten es Prof. Dr. Susan Wilde von der University of Georgia in den USA und der Pharmazeut Prof. Dr. Timo Niedermeyer, der bis Juli 2023 an der MLU tätig war und mittlerweile an der Freien Universität Berlin forscht. Dieses Gift war die Lösung für ein jahrzehntealtes Rätsel: Es löst in Weißkopfseeadlern in den USA die Krankheit „Vacuolar Myelinopathy“ aus, bei der im Gehirn der Tiere Löcher entstehen und diese die Kontrolle über ihren Körper verlieren. Seine Erkenntnisse publizierte das internationale Team damals als Titelgeschichte in „Science“ und wurde hierfür mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.

Den Nachweis für den zweiten, noch unbekannten Giftstoff konnte nun Markus Schwark von der MLU liefern und die Substanz auch genau beschreiben. „Wir waren sehr überrascht, als wir die Struktur dieses Toxins aufgeklärt hatten. Es ähnelt Toxinen, die bereits aus marinen Cyanobakterien bekannt sind. Sie werden sogar schon in krebszell-tötenden Arzneimitteln eingesetzt“, sagt Schwark. In Anlehnung an das Bakterium und die ähnlichen, bereits bekannten Toxine haben die Forschenden das neu entdeckte Gift „Aetokthonostatin“ genannt.

Dass es diesen Giftstoff geben muss, wurde bereits seit Jahren vermutet: „In einer unserer ersten Untersuchungen vor über zehn Jahren haben wir festgestellt, dass ein Extrakt des Cyanobakteriums hochgiftig für Zellen ist. Wir dachten, dass dieser Effekt auf das Aetokthonotoxin zurückzuführen ist, das die Vogelkrankheit auslöst“, sagt Timo Niedermeyer. Aber es stellte sich in späteren Studien heraus, dass der Vogel-Giftstoff nur eine geringe direkte Zellschädigung hervorruft. Auch Extrakte, die diesen gar nicht enthielten, führten in geringsten Konzentrationen zum Zelltod. Somit war klar, dass A. hydrillicola noch einen weiteren, stark wirksamen Giftstoff produziert.

Ein Team der tschechischen Akademie der Wissenschaften unter Leitung von Dr. Jan Mareš konnte die Gene im Erbgut des Cyanobakteriums bestimmen, die für die Synthese des neuen, giftigen Moleküls zuständig sind. Da der Stoff bereits bekannten Substanzen ähnelt, die bei Antitumormitteln eingesetzt werden, könnte das neue Wissen zukünftig dabei helfen, neue Wirkstoffe gegen Krebskrankheiten zu entwickeln.

Das Cyanobakterium breitet sich in den USA auch in Gewässern aus, die zur Trinkwassergewinnung genutzt werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen deshalb, diese Gewässer verstärkt auf das Cyanobakterium und dessen beide Giftstoffe zu prüfen, um gesundheitlichen Folgen für den Menschen vorzubeugen.

Die Studie wurde finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die tschechische Wissenschaftsstiftung GA?R.

Originalpublikation:

Studie: Schwark M. et al. More than just an Eagle Killer: The freshwater cyanobacterium Aetokthonos hydrillicola produces highly toxic dolastatin derivatives. PNAS (2023). doi: 10.1073/pnas.2219230120
https://doi.org/10.1073/pnas.2219230120

https://pressemitteilungen.pr.uni-halle.de/index.php?modus=pmanzeige&pm_id=5635

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Tom Leonhardt Stabsstelle Zentrale Kommunikation
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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