London und Berlin: Die Renaissance ihrer Mitte

Wissenschaftler der TU Berlin untersuchten den Zentrumsumbau der beiden europäischen Metropolen


Die Zentren der Großstadtregion erleben ein Comeback, eine Renaissance der Mitte ist unübersehbar. Doch die Zentren der Zukunft unterscheiden sich von denen der Vergangenheit. Wir sind auf dem Wege zu einem „dritten Zentrum“. Diese Thesen formulieren die Autoren des Buches „Renaissance der Mitte. Zentrumsumbau in London und Berlin“, erschienen im Verlagshaus Braun Berlin 2005.

Das Buch ist das Ergebnis eines von Harald Bodenschatz geleiteten Forschungsprojektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Schinkel-Zentrum der TU Berlin über den städtebaulichen Umbau der Zentren von London und Berlin seit den 1980er-Jahren. Harald Bodenschatz ist Professor für Planungs- und Architektursoziologie an der TU Berlin. Untersucht wurden die beiden Metropolen, weil sie in der Nachkriegszeit von 1945 herausragende Beispiele für eine konfliktreiche Wende zum nachmodernen Städtebau sind. London wie Berlin haben spektakuläre, international beachtete nachmoderne städtebauliche Projekte realisiert.

Beide Städte waren aber auch mit harten Brüchen konfrontiert – Berlin mit dem Fall der Mauer, London mit dem Big Bang, der Auflösung des Greater London Council und der Neueinrichtung der Greater London Authority. Während es in London um die Steuerung des konjunkturell schwankenden Wachstums in einer „World City“ ging, stand in Berlin nach dem Mauerfall die Wiedervereinigung der Stadt und deren Transformation in die neue Hauptstadt des vereinigten Deutschlands auf der Tagesordnung.

In den postindustriellen Stadtregionen London und Berlin erleben die Zentren eine unübersehbare Renaissance, und in diesem Prozess verändern sie sich tief greifend. Nach einer das 20. Jahrhundert prägenden Phase der De-Zentralisierung erleben wir seit den 1980er-Jahren eine Trendwende hin zu einer Re-Zentralisierung. Wenn heute von Urban Renaissance gesprochen wird, ist zumeist das Zentrum gemeint. Private Investitionen drängen in das Zentrum, die Stadtpolitik erarbeitet eine Strategie der Re-zentralisierung, und die Wahrnehmung wie auch der Streit um Architektur und Städtebau bündelt sich in den Zentren. Stadtregionen verbildlichen sich durch ihre Zentren, und diese Bilder gehören zu den Lockmitteln des internationalen Stadttourismus und dienen als werbende Botschafter der Städtekonkurrenz.

Gemeinsam ist beiden Städten das Bemühen um einen hohen gestalterischen Aufwand, um Urban Design – unter der Prämisse der Inszenierung von Tradition und Innovation. Strategisch zielt der Zentrumsumbau in London wie Berlin darauf, den Abschied von der Stadt der Industriegesellschaft zugunsten einer postindustriellen Stadt, einer Stadt der Dienstleistungen zu forcieren. Die Zukunft der Stadt, so die Botschaft, liegt im Service Sektor, im Tourismus, im Kongresswesen, in der Kulturindustrie, in den Creative Industries, im Einkaufen und Essen als Freizeitevent, in der Vergnügungsindustrie, aber auch im urbanen Wohnen. Adressaten der Urban Renaissance sind in erster Linie zahlungskräftige soziale Schichten – Angestellte, Bewohner, Touristen aus dem Um-, In- und Ausland. Den Bedürfnissen dieser Schichten soll der Zentrumsumbau entsprechen -hinsichtlich der Gestaltung, der Nutzungsangebote und der Sicherheit.

Berlin ist jedoch – anders als London – zurzeit von Stagnation geprägt ist. Berlin muss seine Rolle im Konzert der europäischen Städte erst noch finden. Auf der anderen Seite sind die räumlichen Potenziale für den weiteren Zentrumsumbau in Berlin unübersehbar: Zuallererst wäre als neuer Zentrumspol der Hauptbahnhof-Lehrter Bahnhof zu nennen. Aber auch der Ostbahnhof bietet Raum für Projekte der Zentrumserweiterung. Von außerordentlicher, bislang unterschätzter Bedeutung ist die Qualifizierung des zentralen Freiraums der Altstadt zwischen Spree und S-Bahnhof Alexanderplatz zu einem Freizeit-, Erlebnis- und Geschichtsraum. Auch die innerstädtischen Uferlagen bieten weitere Potenziale, die aber mit denen Londons nicht vergleichbar sind.

Allerdings birgt die Fokussierung auf die Mitte auch Gefahren. Denn die Entwicklungen nicht nur in London und Berlin zeigen, dass der nachmoderne Städtebau sich auf zwei große räumliche Bereiche konzentriert: auf die Zentren und auf das suburbane Umland. Dagegen werden Teile der Innenstädte vernachlässigt. Dies ist eine städtebauliche Herausforderung, die in den neuen stadtweiten Plänen wie dem London Plan und dem Stadtentwicklungskonzept Berlin 2020 zumindest wahrgenommen und thematisiert wird. Vor diesem Hintergrund erscheint eine enge Verzahnung des Zentrumsumbaus mit einer Politik der sozialen Integration in den Quartieren um das Zentrum herum zwingend. Der Erfolg dieser Verzahnung wird auch über die Nachhaltigkeit des Zentrumsumbaus mitentscheiden. Denn ein hoffnungsloser, weiter verfallender Armutsgürtel um ein aufblühendes Zentrum würde den nachmodernen Zentrumsumbau zu einem hohlen Spektakel verkümmern lassen.

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Prof. Dr. Harald Bodenschatz, Institut für Soziologie der TU Berlin, Fachgebiet Planungs- und Architektursoziologie, Telefon: 030/314-25291, Fax: 030/314-23148, E-Mail: harald.bodenschatz@tu-berlin.de

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Ramona Ehret idw

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