Entdeckung eines einzigartigen Zentromertyps in der Nessel-Seide

Die holozentrische Nessel-Seide umschlingt eine Brennnessel. Jiri Macas

Wissenschaftler haben einen neuen Zentromertyp in der Pflanze Cuscuta europae entdeckt. Deren Zentromeraktivität ist holozentrisch, obwohl CENH3 nur in ein bis drei unterschiedlichen Regionen je Chromosom vorkommt.

Die Ergebnisse wurden in Frontiers in Plant Sciences veröffentlicht.

Es ist nicht selten, dass die Nessel-Seide, Cuscuta europaea, von Wissenschaftlern unter die Lupe genommen wird, jedoch ist der Grund dafür meist ihr Mangel an Chloroplasten und ihre damit einhergehende parasitische Lebensweise.

Gleichwohl wurden Anfang diesen Jahres die Chromosomen der Nessel-Seide zur neusten wissenschaftlichen Attraktion, als Forscher einen neuen Zentromertyp in dieser Art entdeckten.

Während die chromosomale Anordnung von Zentromeren für gewöhnlich durch die Positionierung vom CENH3-Histon bestimmt wird, verteilen sich die Zentromere von C. europaea unabhängig vom Vorkommen dieser Histonvariante.

Die Nessel-Seide Cuscuta europaea ist vorallem als parasitische Pflanze bekannt – statt Photosynthese zu betreiben, wächst sie auf anderen Pflanzen und ernährt sich von deren Stoffwechselprodukten.

Als Wissenschaftler der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Ceské Budejovice in Zusammenarbeit mit Forschern des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben C. europaea kürzlich auf zytogenetischer Ebene untersuchten, entdeckten sie jedoch einen noch nie zuvor gesehenen Zentromertyp.

Das Zentromer ist ein chromosomaler Bereich, auf dem das Kinetochor zusammengebaut wird. Das Kinetochor wiederum ist die Anheftungsstelle des Spindelapparates während der Mitose und Meiose.

In den meisten eukaryotischen Arten wird die Positionierung der Zentromere von der Zentromer-spezifischen Histon H3-Variante namens CENH3 bestimmt, welche auch eine essenzielle Rolle beim Aufbau und der Funktion von Kinetochoren spielt. Je nach Verteilung der Zentromere auf dem Chromosom wird zwischen Arten mit monozentrischen oder holozentrischen Zentromeren unterschieden.

In monozentrischen Arten ist CENH3, und somit die Zentromeraktivität, auf eine einzelne Region per Chromosom beschränkt. In holozentrischen Arten findet man hingegen beides auf der gesamten Länge der Chromosomen.

Um Eigenschaften zu untersuchen, welche mit der Evolution von Holozentromeren assoziiert werden, vergleichen Wissenschaftler oftmals die Phylogenie von verwandeten Arten mit unterschiedlichen Zentromertypen. Insbesondere der Genus Cuscuta wurde dazu schon umfassend analysiert.

Während der Untersuchung von C. europaea als zusätzliche representative holozentrische Art, stießen die Forscher auf unerwartete Unstimmigkeiten.

Anstatt CENH3-spezifische Signale entlang des ganzen Chromosoms aufzuzeigen, zeigten cytologische Untersuchungen, dass CENH3 lediglich in ein bis drei Bereichen auf dem Chromosom auftritt.

Später enthüllte die superauflösende Mikroskopie, dass die Zentromere trotzdem eine typisch holozentrische Aktivität aufweisen, unabhängig von der ungewöhnlichen Verteilung von CENH3 – ein neuer Zentromertyp war somit entdeckt.

Bislang wurden erst sehr wenige Arten gefunden, welche keine Korrelation zwischen CENH3 und Kinetochorfunktionalität aufweisen. Die meisten sind holozentrische Insekten, bei denen das CENH3-Gen fehlt. Durch die Entdeckung in C. europaea wurde die Liste von Zentromertypen nun um eine außergewöhnliche parasitäre Pflanze erweitert, welche auch in der Zukunft weitere Forschung anstoßen wird.

Prof. Dr. Andreas Houben
Leibniz Institute of Plant Genetics and Crop Plant Research (IPK) Gatersleben
Tel.: +49 39482 5486
E-mail: houben@ipk-gatersleben.de

Oliveira et al. (2020) Mitotic spindle attachment to the holocentric chromosomes of Cuscuta europaea does not correlate with the distribution of CENH3 chromatin; Front. Plant Sci. DOI: 10.3389/fpls.2019.01799

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