Simulierte Synapsen – TU-Forscher berechnen das neuronale Netz des Gehirns

Professor Felix Wolf und sein Mitarbeiter Dr. Sebastian Rinke aus dem Arbeitsgebiet Parallele Programmierung im Fachbereich Informatik der TU Darmstadt wollen das menschliche Gehirn simulieren, genauer: die Vernetzung seiner etwa 100 Milliarden Nervenzellen.

„Mit der Berechnung war bislang selbst ein Supercomputer überfordert“, sagt Wolf. Die Darmstädter Informatiker lösten das Problem mit einem Näherungsverfahren aus der Astrophysik: Es vereinfacht die Kalkulation, indem es die betrachteten Objekte – hier die Nervenzellen, in der Astrophysik die Himmelskörper – zu Gruppen zusammenfasst.

Wolf und Rinke kombinierten den Algorithmus aus der Himmelskunde mit einem bereits bekannten Hirnmodell, das bis zu 100.000 Neuronen verarbeiten kann, der Hirngröße einer Fruchtfliege entsprechend. Mit dem so modifizierten Modell haben sie bereits ein Netz aus einer Milliarde Nervenzellen – mehr als ein Rattenhirn enthält – simuliert.

„Extrapolationen zeigen, dass ein hinreichend großer Computer, basierend auf heutiger Technologie, sogar das komplette Netzwerk aus 100 Milliarden Nervenzellen berechnen kann“, ergänzt Wolf. Das neue Modell teilt die Nervenzellen zunächst in Gruppen ein und kalkuliert die Verbindungswahrscheinlichkeit einer Zelle zu einer solchen Gruppe. Anschließend zoomt man in die Gruppe hinein, unterteilt sie feiner und wiederholt die Prozedur. „Das mache ich so lange, bis ich wieder zu einzelnen Nervenzellen komme“, erläutert Rinke.

Die Simulation neuronaler Netze ist von medizinischem Interesse, denn unser Gehirn ist keinesfalls fest verdrahtet: Nach einem Schlaganfall, nach der Amputation von Gliedmaßen, aber auch beim Lernen und vielen anderen Prozessen bilden sich neue Synapsen, während unnütze verschwinden. Ließe sich die Umorganisation vorhersagen, könnten Ärzte Eingriffe am Hirn sowie Therapien von neurologischen Erkrankungen optimieren.

Für die Behandlung von Schlaganfallpatienten wäre es hilfreich, wenn man genauer wüsste, wie und in welchem Tempo sich das Gehirn selbst repariert. Noch sei die klinische Anwendung des Modells aber eine Vision, betont Wolf: „Wir müssen erst einmal herausfinden, wie sich unsere Simulationen zu Patientendaten verhalten.“

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