Erdbeben in Chile: keine Entwarnung

Nachbeben in Südchile (Abbildung: GFZ)

Seismische Lücke noch nicht geschlossen / Bevorstehender Einsatz von Wissenschaftlern

Nach dem starken Erdbeben in Chile vom 02. April (MESZ) haben zahlreiche Nachbeben mit teilweise beträchtlicher Stärke die Region um Iquique heimgesucht. Seismologen des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ warnen vor der Annahme, dass mit dem Starkbeben die dortige seismische Lücke geschlossen wurde und das Erdbebenrisiko vor Ort sich verringert habe. Im Gegenteil zeigen erste Untersuchungen des Bruchprozesses und der Nachbeben, dass lediglich etwa ein Drittel der gefährdeten Zone durchbrochen ist.

Die seismische Lücke von Iquique wird so genannt, weil dort ein starkes Beben erwartet wird. Südamerikas Westküste wird durch den Zusammenstoß der pazifischen Nazca-Platte mit der Südamerikanischen Platte geprägt.

„In einem untermeerischen Graben entlang der Küste taucht der Pazifikboden unter den Kontinent und baut dabei Spannung auf, die sich durch Erdbeben entlädt,“ erklärt Professor Onno Oncken vom GFZ. „Im Verlauf von rund 150 Jahren bricht dabei der gesamte Plattenrand vom Süden in Patagonien bis nach Panama im Norden mit großen Erdbeben einmal komplett durch.“ Dieser Zyklus ist auch bereits durchlaufen – mit der Ausnahme eines letzten Segments westlich von Iquique in Nordchile. Das starke Erdbeben vom 02. April fand, wie erwartet, genau in dieser seismischen Lücke statt.

Keine Entspannung

Erste Analysen der GFZ-Seismologen zeigten nun, dass von einem Abbau der Spannung in der Erdkruste an dieser Stelle nicht die Rede sein kann: „Nur das mittlere Stück dieser Spannungszone hat sich entladen,“ führt Oncken weiter aus. Die Erdbebenserie begann bereits am 16. März mit einem Beben der Magnitude 6,7.

Durch das Hauptbeben der Stärke M=8,1 brach zwar das Mittelstück der seismischen Lücke mit einer Länge von rund 100 Kilometern, zwei große Segmente nördlich und südlich davon blieben aber intakt. Diese sind jeweils in der Lage, große Beben mit Erschütterungs- und Tsunamigefahr zu erzeugen.

Oncken: „Das bedeutet, dass die Gefahr eines oder gar mehrerer Beben mit Magnituden deutlich über 8 nach wie vor noch besteht.“ Auch die Lage und Stärke der Nachbeben deutet auf eine solche Situation hin.

Seit dem Hauptstoß wurden hunderte Nachbeben registriert, das größte am 02. April (MESZ) mit Magnitude 7,6. Dieses Beben ereignete sich rund 100 Kilometer südlich vom Hauptbeben und bildet mit seinen Nachbeben einen zweiten Erdbebenherd.

Wissenschaftler fahren zum Feldeinsatz

Für solche Extremereignisse hat das GeoForschungsZentrum eine Einsatzgruppe namens HART (Hazard and Risk Team), die zu weiteren Untersuchungen in das betroffene Gebiet reist. Ziel eines solchen Einsatzes ist, anhand der Nachbeben weitere detailierte Erkenntnisse des Bruchvorgangs zu gewinnen und die Bruchfläche anhand der Verteilung der Nachbeben genauer zu bestimmen.

Aktuell werden 25 Seismometer für die Luftfracht vorbereitet. Am Anfang der kommenden Woche fliegt das aus acht GFZ-Wissenschaftlern bestehende Team nach Chile. Die 25 portablen Seismometer werden dazu verwendet, das bestehende Observatoriumsnetz IPOC (Integrated Plate Boundary Observatory Chile) zu verdichten und so die Genauigkeit der Herdbestimmung zu erhöhen. Weiterhin werden 50 GPS-Messpunkte hochpräzise vermessen und zusätzlich zwei neue GPS-Stationen installiert, um die Deformation der Erdkriuste durch das Erdbeben zu erfassen.

Auch das Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Geomar in Kiel plant, die Messkampagne unterstützen. Mit Ozeanbodenseismometern sollen Messungen der Nachbeben am Meeresgrund die landgestützten seismischen Daten ergänzen.

Das Plattenrandobservatorium IPOC in Chile
Auf Initiative des Deutschen GeoForschungsZentrums wurde direkt in der seimischen Lücken Nordchiles ein Observatorium aufgebaut, um hier die tektonischen Vorgänge vor, während und nach dem erwarteten Starkbeben präzise zu messen und aufzuzeichnen.

Das Integrated Plate Boundary Observatory Chile (IPOC) genannte Observatorium ist ein europäisch-amerikanisches Netz von Einrichtungen und Wissenschaftlern. Außeruniversitäre deutsche, französische, chilenische und amerikanischen Forschungseinrichtungen betreiben zusammen mit mehreren chilenische und deutsche Universitäten ein dezentrales Instrumentensystem an Chiles konvergentem Plattenrand, um Erdbeben, Deformationen, Magmatismus und Oberflächenprozesse zu erfassen.

Das ist mit dem Erdbeben vom 02. April auch gelungen: „Unsere gesamte Instrumentierung hat das Beben und die Nachbeben unversehrt überstanden. Wir haben jetzt einen Datensatz, der weltweit einzigartig ist,“ freut sich GFZ-Seismologe Günter Asch, der unmittelbar vor dem Beben noch die Instrumente vor Ort überprüft hatte und sich jetzt erneut auf den Weg macht.

„Wir gehen davon aus, dass diese Daten uns ermöglichen werden, den gesamten Bebenvorgang – von der Phase des Spannungsaufbaus über den eigentlichen Bruch bis in die postseismische Phase nachzuvollziehen.“ Daraus leitet sich Wissen über das Erdbebenrisiko nicht nur in diesem Teil der Welt ab.

IPOC wird weiter ausgebaut. Bisher wurden über 20 Multi-Parameter-Stationen errichtet. Diese bestehen aus Breitbandseismografen, Akzelerometern, kontinuierlichen GPS-Empfängern, magneto-tellurischen Sonden, Dehnungsmessgeräten und Klimasensoren. Deren Daten werden in Echtzeit nach Potsdam übertragen. Auch die Europäische Südsternwarte auf dem Cerro Paranal wurde in dieses Observatoriennetzwerk einbezogen.

Eine Animation der Erdbebensequenz seit dem 17.03.2014 bis zum 03.04.2014 findet sich hier:
https://media.gfz-potsdam.de/gfz/wv/05_Medien_Kommunikation/Bildarchiv/Erdbeben%…

Weitere Informationen über IPOC:
http://www.gfz-potsdam.de/scientific-services/observatorien/erdsystemobservatori…

Aktuelle Erdbebeninformation weltweit:
http://www.gfz-potsdam.de/medien-kommunikation/aktuelle-erdbebeninformationen/

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Franz Ossing GFZ Potsdam

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