Molekulare Anker als Qualitätskontrolle der bei Alzheimer und Tumoren beteiligten Gammasekretase

Wie aber wird die Gammasekretase selbst reguliert? Eine weitgehend unbekannte molekulare Qualitätskontrolle kontrolliert zum einen den korrekten Zusammenbau der Gammasekretase. Gleichzeitig verhindert sie den Transport fehlerhafter oder unvollständiger Gammasekretase-Komplexe an ihren Bestimmungsort. Am Jenaer Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut wurden molekulare Anker als Bestandteile dieser Qualitätskontrolle entdeckt.

Qualitätskontrolle ist ein wichtiger Teil jeder Produktion, ob in der Herstellung von Arzneimitteln, oder in der Auslieferung von Autos. Kein Wunder, dass auch unsere Körperzellen intensive Qualitätskontrolle betreiben bei der Herstellung ihrer „Produkte“, zum Beispiel der Proteine, welche alle unsere Lebenseigenschaften bestimmen. Eine besondere Anforderung wird gestellt, wenn ein Protein, wie in diesem Fall, aus mehreren Teilen zusammengebaut werden muss.

Die Gammasekretase sitzt als großes Membranprotein in der Plasmamembran der Zelle. Mit ihrer Enzymfunktion schneidet und aktiviert sie andere Proteine, die innerhalb und außerhalb der Zelle wichtige Funktionen ausüben. Wie wird aber die Gammasekretase kontrolliert? Am Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena geht Dr. Christoph Kaether, Leiter der Forschungsgruppe „Membrantransport und Alzheimer“, dieser Frage nach: „Wir konnten bereits früher nachweisen, dass die Aktivität der Gammasekretase wesentlich über ihren Zusammenbau und ihren Transport reguliert wird“. So unterliegt das Zusammensetzen der Sekretase aus ihren 4 verschiedenen Proteinbausteinen, den sogenannten Untereinheiten, einer strengen Qualitätskontrolle. Die einzelnen Untereinheiten werden nämlich zunächst an deren Entstehungsort, im endoplasmatischen Retikulum (ER) im Inneren der Zelle, zurückgehalten. Dieses Verankern ist der erste Schritt des komplexen Kontrollvorgangs.

Bindeproteine im ER erkennen hierbei eine genaue Abfolge von Aminosäurebausteine der Sekretase-Untereinheiten. Die Aminosäureabfolgen fungieren damit als molekulare Ankerpunkte. Details solcher Ankerpunkte wurden nun in Präsenilin1 und Pen2, zwei Gammasekretase-Untereinheiten, erstmalig erkannt. „Im Präsenilin1 fanden wir als Ankerpunkt eine Abfolge von nur 3 Aminosäuren, durch die die Untereinheit im ER zurückgehalten wird“, so Matthias Fassler, Doktorand und Erstautor der jüngst veröffentlichten Studie. Fassler, dessen erfolgreiche Arbeit am FLI auch durch ein Stipendium der Hans und Ilse Breuer-Stiftung gefördert wurde, entdeckte noch eine weitere Überraschung. Er fand heraus, an welchen Stellen Präsenilin1 und Pen2 aneinander andocken und so die Sekretase zusammen halten. Das besondere dabei: Während Präsenilin1 und Pen2 eng interagieren, werden gleichzeitig deren molekulare Ankerpunkte getarnt.

„Durch die Tarnung der Ankerpunkte wird der Qualitätskontrolle ein vollständiger und korrekter Zusammenbau der Gammasekretase angezeigt“, bestätigt Kaether die doppelte Bedeutung ihrer Entdeckung. Erst jetzt kann die Gammasekretase an ihre Bestimmungsorte exportiert werden und ihre biologischen Enzymfunktionen ausüben. Dass die einzelnen Untereinheiten festgehalten werden und erst der korrekte Zusammenbau die Verankerung löst, ist der faszinierende Mechanismus dieser Qualitätskontrolle.

Einmal zusammengebaut und aktiv, schneidet die Gammasekretase, vermutlich in der Plasmamembran, das Amyloid-Vorläuferprotein (APP) zu kurzen Amyloidpeptiden. Unkorrekte Schnitte und fehlerhafte Anlagerung der Amyloidpeptide führen jedoch zu krankhaften Aggregationen. Diese werden als Amyloidablagerungen, auch Plaques genannt, in den Gehirnen von Alzheimer-Patienten gefunden. Aber auch beim Zurechtschneiden und damit der Aktivierung des Membranrezeptors „Notch“ spielt die Gammasekretase eine entscheidende Rolle. Vom Notch-Rezeptormolekül schneidet sie im Zellinneren ein kleines Notch-Protein ab. Dieses kann im Zellkern Gene regulieren, die insbesondere die Embryonalentwicklung des Organismus und die Kommunikation zwischen Nervenzellen steuern. Notch selbst ist aber auch bei vielen Tumoren fehlreguliert und ursächlich an der Tumorentstehung beteiligt.

Mit dem besseren Verständnis der molekularen Qualitätskontrolle wird die übergeordnete Rolle der Gammasekretase in so unterschiedlichen Prozessen wie der Embryonalentwicklung und Krankheiten wie Krebs und Alzheimer besser einzuordnen sein. Zur Erforschung von altersbedingter Neurodegeneration werden am FLI aber auch weitere, alternative Ansätze verfolgt. So untersucht die Forschungsgruppe von Manuel Than mittels Proteinkristallographie die dreidimensionale Struktur Alzheimer-relevanter Proteine, wie des APP. Mit der Strukturaufklärung der Alzheimer-Fibrillen und der Entdeckung eines Antikörpers, der spezifisch diese Fibrillen erkennt, wurden in der Forschungsgruppe von Marcus Fändrich bereits neue Werkzeuge für die Erforschung und Diagnose von Alzheimer-Fibrillen gefunden. „Ob und wann diese wichtigen Grundlagenerkenntnisse auch von diagnostischem oder therapeutischem Nutzen für die Patienten sein können, wird aber erst nach weiteren Jahren intensiver Forschung absehbar sein“, so Prof. Dr. Peter Herrlich, wissenschaftlicher Direktor des FLI.

Originalveröffentlichung:
Masking of transmembrane-based retention signals controls ER-export of Gammasecretase.
Matthias Fassler, Michael Zocher, Sebastian Klare, Alerie Guzman de la Fuente, Johanna Scheuermann, Anja Capell, Christian Haass, Christina Valkova, Anbazhagan Veerappan, Dirk Schneider, Christoph Kaether
Traffic, Accepted Nov 5 2009
DOI: 10.1111/j.1600-0854.2009.01014.x
Kontakt:
Dr. Christoph Kaether
Forschungsgruppe „Membrane traffic and Alzheimer's Disease“
Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI)
Beutenbergstr. 11, D-07745 Jena
Tel. +49 3641 656230
Fax +49 3641 656335
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