PUMa: „Marburger Herz-Score“ erleichtert Diagnose

Im Behandlungszimmer von Doktor K. in einer hessischen Kleinstadt nahe Marburg sitzt Herr S., der seit einigen Tagen über Schmerzen im Bereich des linken Brustkorbs klagt. Auch wenn bei dem Patienten Risikofaktoren für eine Koronare Herzerkrankung bekannt sind, hält der Arzt nach dem Patientengespräch und der körperlichen Untersuchung eine Muskelverspannung im Bereich des Rückens für wahrscheinlich.

„Die Koronare Herzerkrankung zählt zu den schwereren Erkrankungen, die einen Großteil der Bevölkerung betrifft, vor allem in höherem Alter“, sagt Stefan Bösner, der Erstautor der aktuellen Studie. Verschiedene Risikofaktoren wie Rauchen, Störungen des Fettstoffwechsels oder Bluthochdruck führen über die Jahre zu einer Einengung der Blutgefäße, die den Herzmuskel versorgen. Die meisten KHK-Patienten stellen sich bei ihrem Hausarzt mit Brustschmerzen vor, für die jedoch auch andere Krankheiten verantwortlich sein können. Nur jeder siebte Brustschmerz-Patient in einer allgemeinmedizinischen Praxis leidet letztendlich an Koronarer Herzerkrankung.

Die Abteilung für Allgemeinmedizin der Philipps Universität forscht seit Jahren zur Diagnose der Koronaren Herzerkrankung in der Hausarztpraxis. Jetzt steht mit dem „Marburger Herz-Score“ eine Entscheidungshilfe für den Hausarzt zur Verfügung, mit der dieser bei Brustschmerzpatienten eine Koronare Herzerkrankung mit hoher Sicherheit auszuschließen vermag. Der Test wurde in Zusammenarbeit mit hessischen Hausärzten und der Kardiologischen Abteilung des Universitätsklinikums entwickelt und seine Praxistauglichkeit in einer Anwendungsstudie erprobt. Das Bundesforschungsministerium förderte das Projekt.

Die Autoren führten eine Studie durch, in der mehr als 1.200 Patienten mit Brustschmerz in 70 Hausarztpraxen untersucht wurden. Es galt herauszufinden, mit welchen Fragen der Hausarzt eine ernste Herzerkrankung wie KHK von anderen Brustschmerz-Ursachen unterscheiden kann.

„Bei der Auswertung zeigte sich, dass manches Lehrbuch überholt ist“, erklärt Norbert Donner-Banzhoff, der Leiter des Projekts. „Traditionell benutzte Kriterien erwiesen sich als nutzlos. Andere wiederum müssen wir neu in unser Repertoire aufnehmen.“ Letztlich floss eine Kombination aus fünf verschiedenen Merkmalen in die klinische Entscheidungshilfe ein. „Dazu gehört zum Beispiel die Selbsteinschätzung des Patienten – laut Donner-Banzhoff „ein innovativer Aspekt, der in der wissenschaftlichen Literatur bisher so nicht beschrieben wurde“. Glaubt der Patient, dass seine Schmerzen vom Herzen kommen, so ist die Wahrscheinlichkeit für eine Koronare Herzerkrankung erhöht.

„Die einfachsten Entscheidungsregeln sind auch die besten“, lobt der britische Statistiker Dr. Richard Stevens den „Marburger Herz-Score“ und kommt zu dem Schluss: „Die Studie ist in vielerlei Hinsicht ein Vorbild für die Entwicklung von Vorhersageinstrumenten.“ Aktuell führt die Marburger Allgemeinmedizin eine weitere Brustschmerzstudie mit 50 Hausarztpraxen aus der Region durch. Ein weltweiter Forschungsverbund zu diesem Thema umfasst Partneruniversitäten aus der Schweiz, in Belgien, Schweden und den USA.

Der Hausarzt Dr. K. kann mithilfe des „Marburger Herz-Score“ Entwarnung geben. Er stellt die Diagnose „Muskuläre Verspannung der Brustwand“ und verschreibt seinem Patienten ein Schmerzmittel.

Originalveröffentlichung: Stefan Bösner & al.: “Ruling out coronary artery disease in primary care: development and validation of a simple prediction rule”, CMAJ 2010. DOI:10.1503/cmaj.100212

Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Professor Dr. Norbert Donner-Banzhoff,
Fachgebiet Allgemeinmedizin
Tel.: 06421 28-65119
E-Mail: norbert@staff.uni-marburg.de

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