Der Rest vom Paradies: Wie wichtig sind Wale und Robben für die polaren Ökosysteme?

Die Polargebiete gehören zu den unwirtlichsten Gegenden der Erde, und doch leben hier die größten Tiere – im Meer. Der Grund für die Vielzahl von Walen und Robben in Arktis und Antarktis schien bisher in dem scheinbar unerschöpflichen Nahrungsreichtum zu liegen. Nun mehren sich Hinweise, dass die Großsäuger ihr Überleben vor allem der Menschenfeindlichkeit dieser Gebiete verdanken und einstmals viel weiter verbreitet waren. Und es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass in den gemäßigten Meeren ihr Verschwinden tief greifende Veränderungen des gesamten Ökosystems nach sich zog.

Ein besseres Verständnis der ökologischen Bedeutung von Walen und Robben ist nach Ansicht von Prof. Dr. Victor Smetacek vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung und Dr. Stephen Nicol von der tasmanischen Universität in Hobart, Australien, eine wichtige Voraussetzung für Prognosen zum Wandel der polaren Ökosysteme im Rahmen eines globalen Klimawandels. In einem jetzt im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlichten Beitrag stellen die Forscher die These auf, dass die großen Meeressäuger einen formenden und stabilisierenden Einfluss auf marine Ökosysteme haben und einst in allen Meeren weit verbreitet waren.

Ähnlich wie der Fischreichtum afrikanischer Binnengewässer entscheidend von den Flusspferden abhängt, prägen Großsäuger vielleicht auch in den kältesten Meeren der Erde ihren Lebensraum. Schon jetzt ist klar, dass das Bild von kurzen Nahrungsketten mit wenigen beteiligten Organismen eine zu stark vereinfachte Sicht polarer Ökosysteme ist. Die Produktivität in Arktis und Antarktis ist vergleichbar hoch wie in den Meeren der gemäßigten Breiten. Große Unterschiede finden sich allerdings beim Vergleich zwischen Arktis und Antarktis mit Blick auf die Verfügbarkeit von Nährstoffen und auf die Schlüsselorganismen der Nahrungskette. In der Antarktis begrenzt vor allem die Verfügbarkeit von Eisen das Wachstum im System. Der in ungeheuren Mengen auftretende Krill, eine Krebsart, bildet eine wesentliche Nahrungsgrundlage der größeren Tiere. In der Arktis nehmen Fische die ökologische Bedeutung des Krills ein, die Produktivität der arktischen Meere wird häufiger durch die Verfügbarkeit von Nährstoffen begrenzt. Weitgehend ungeklärt ist in jedem Fall die Bedeutung der großen Säugetiere in den kältesten Meeren der Erde, welchen Einfluss ihre Fraßtätigkeit und ihre Ausscheidungsprodukte auf die Stabilität der Ökosysteme haben.

Besser verstanden ist die Rolle der großen Säugetiere an Land. Nicht nur in Ostafrika prägten große Pflanzenfresser entscheidend ihren Lebensraum. Vor dem Erscheinen des modernen Menschen waren sie weltweit verbreitet. Mit der Ausrottung der Mammute und fast aller Landgroßtiere in Europa, Asien, Amerika veränderten sich auch die Landschaften. Heute soll in Sibirien durch Wiederansiedlung großer Pflanzenfresser die alte Mammutsteppe renaturiert werden, ähnliches schlagen US-Forscher für Nordamerika vor.

Mit der Erfindung der Schifffahrt brachte das Landtier Mensch den Exodus auch in die Meere. Die Ausrottung des europäischen Grauwals und der Steller’schen Seekuh im Nordpazifik sind ebenso Beispiele hierfür wie der drastische Rückgang fast aller anderen Großtiere in den Meeren der gemäßigten Breiten. Am längsten überlebten die Riesen der Tierwelt in den für Menschen unzugänglichen Regionen der Erde. Ein weitgehend intaktes Ökosystem und Restbestände früherer Vielfalt erhielten sich vor allem in Arktis und Antarktis, den polaren „Serengetis“, und vor allem hier ist eine Erforschung der Wechselwirkungen zwischen marinen Großsäugern und ihrer Umwelt heute noch möglich – und nötig.

Denn mit dem weltweiten Anstieg der Temperaturen verändern sich auch die polaren Gebiete, wobei die Veränderung aufgrund der Unterschiede in Geographie und Funktion des Ökosystems in Arktis und Antarktis vermutlich nicht gleichartig verlaufen wird. Ein besseres Verständnis der ökologischen Bedeutung der Großtiere in den Meeren ist eine Voraussetzung, um sinnvolle Maßnahmen zu Schutz und Erhalt dieser Gebiete durchführen zu können.

Media Contact

Margarete Pauls idw

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Ökologie Umwelt- Naturschutz

Dieser Themenkomplex befasst sich primär mit den Wechselbeziehungen zwischen Organismen und den auf sie wirkenden Umweltfaktoren, aber auch im weiteren Sinn zwischen einzelnen unbelebten Umweltfaktoren.

Der innovations report bietet Ihnen interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Klimaschutz, Landschaftsschutzgebiete, Ökosysteme, Naturparks sowie zu Untersuchungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Diamantstaub leuchtet hell in Magnetresonanztomographie

Mögliche Alternative zum weit verbreiteten Kontrastmittel Gadolinium. Eine unerwartete Entdeckung machte eine Wissenschaftlerin des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart: Nanometerkleine Diamantpartikel, die eigentlich für einen ganz anderen Zweck bestimmt…

Neue Spule für 7-Tesla MRT | Kopf und Hals gleichzeitig darstellen

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ermöglicht detaillierte Einblicke in den Körper. Vor allem die Ultrahochfeld-Bildgebung mit Magnetfeldstärken von 7 Tesla und höher macht feinste anatomische Strukturen und funktionelle Prozesse sichtbar. Doch alleine…

Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze

Projekt HyFlow: Leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze. In drei Jahren Forschungsarbeit hat das Konsortium des EU-Projekts HyFlow ein extrem leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem entwickelt, das einen…

Partner & Förderer