Turbulenzforschung vor neuen Schwierigkeiten

Immer mehr und immer öfter sind Wetter und Klima Gegenstand von öffentlichem Interesse, zuletzt in Deutschland angesichts der Jahrhundertflut in der Elbregion. Dass sich Wissenschaftler häufig widersprechen, wenn es um kurzfristige und langfristige Wetter- und Klimavoraussagen geht, hat nicht zuletzt mit einem bis heute nicht völlig verstandenen Phänomen zu tun, nämlich dem der Turbulenz. Turbulenzen (ein „komplexes Unordnungssystem“) sind essenziell für den Bestand der Welt, sie spielen eine überragende Rolle sowohl im Großen – ob beim Klima oder in der Luft- und Raumfahrt – wie im Kleinen, etwa beim Umrühren der Sahne im Kaffee.

Obwohl die Grundgleichungen für strömende Flüssigkeiten in der Physik schon seit über 150 Jahren bekannt und im Grunde einfache mechanische Gesetze sind, ist es bis heute noch nicht gelungen, Lösungen für die turbulenten Strömungen zu finden, d.h. Turbulenzen exakt zu berechnen und somit etwa genaue Vorhersagen für Wetter- und Klimaentwicklungen zu machen. Selbst mit den modernsten Computern lässt sich bis heute nicht einmal der Strömungswiderstand einer Stange unter einfachsten Laborbedingungen exakt berechnen.

Große Hoffnung hatte man seit einigen Jahrzehnten auf die Hypothese gesetzt, wonach Turbulenzen allgemein gültige und übertragbare („universelle“) Eigenschaften besitzen, d.h. dass man Ergebnisse, die im kleinen Maßstab gelten (kleinskalige Turbulenz), auf große Maßstäbe (großskalige Turbulenz) übertragen kann. Diese Hoffnungen haben sich als trügerisch erwiesen, wie in einem Beitrag in den Physical Review Letters, der bedeutendsten internationalen Physik-Zeitschrift, erläutert wird. Eine Forschergruppe der Universitäten Oldenburg und Münster sowie des Centre National de la Recherche Scientifique in Grenoble zeigt darin, dass auch die kleinskalige Turbulenz keine einfachen universellen Eigenschaften besitzt (Ch. Renner, J. Peinke, R. Friedrich, O. Chanal, and B. Chabaud, Universality of Small Scale Turbulence, Physical Review Letters, Vol. 89, Nr. 12, 16.9.2002). Sie belegen dies mit experimentellen Turbulenzmessungen in Heliumgas bei – 269°Celcius (4° über dem absoluten Temperaturnullpunkt) sowie mit neuen, in Oldenburg entwickelten stochastischen Analysemethoden.

Von dem lange Zeit in der Turbulenzforschung postulierten „universellen Ansatz“ werde man sich verabschieden müssen, sagte dazu der Oldenburger Physiker und Turbulenzforscher Prof. Dr. Joachim Peinke. Als Konsequenz für die Zukunft sieht er einen großen Forschungsbedarf. Peinke ist überzeugt, „dass wir noch so einige Überraschungen wegen der bestehenden Unkenntnisse erleben werden, wobei Turbulenzen nicht notwendigerweise zu Katastrophen führen müssen, sondern z.B. auch ein unerwartetes Auflösen eines Unwetters zur Folge haben können“.

Kontakt:
Prof. Dr. Joachim Peinke,
Fachbereich Physik, Universität Oldenburg,
Tel.: 0441/798-3536,
E-Mail: peinke@uni-oldenburg.de;
Prof. Dr. Rudolf Friedrich,
Institut für Theoretische Physik, Universität Münster,
Tel.: 0251/8334939,
E-Mail: fiddir@uni-muenster.de

Media Contact

Dr. Corinna Dahm-Brey Pressedienst

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Interdisziplinäre Forschung

Aktuelle Meldungen und Entwicklungen aus fächer- und disziplinenübergreifender Forschung.

Der innovations-report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Mikrosystemforschung, Emotionsforschung, Zukunftsforschung und Stratosphärenforschung.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Diamantstaub leuchtet hell in Magnetresonanztomographie

Mögliche Alternative zum weit verbreiteten Kontrastmittel Gadolinium. Eine unerwartete Entdeckung machte eine Wissenschaftlerin des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart: Nanometerkleine Diamantpartikel, die eigentlich für einen ganz anderen Zweck bestimmt…

Neue Spule für 7-Tesla MRT | Kopf und Hals gleichzeitig darstellen

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ermöglicht detaillierte Einblicke in den Körper. Vor allem die Ultrahochfeld-Bildgebung mit Magnetfeldstärken von 7 Tesla und höher macht feinste anatomische Strukturen und funktionelle Prozesse sichtbar. Doch alleine…

Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze

Projekt HyFlow: Leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze. In drei Jahren Forschungsarbeit hat das Konsortium des EU-Projekts HyFlow ein extrem leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem entwickelt, das einen…

Partner & Förderer