Reformen frühkindlicher Bildung und Betreuung aus ökonomischer Sicht

Das Institut für Ökonomische Bildung hat am 10. und 11. Mai 2007 eine interdisziplinäre Tagung zum Thema „Frühkindliche Bildung und Betreuung aus ökonomischer Sicht“ veranstaltet. Ziel der Tagung war es, die Bedeutung des Systems frühkindlicher Bildung und Betreuung für eine Gesellschaft herauszuarbeiten und darauf aufbauend konkrete Reformvorschläge für das System in Deutschland zu entwickeln.

Angesichts des Alterungsprozesses in unserer Gesellschaft ist ein gutes und ausreichendes System frühkindlicher Bildung und Betreuung in dreifacher Hinsicht von erheblicher Bedeutung für die Entwicklungsfähigkeit einer Gesellschaft:

Gerade in der frühkindlichen Phase werden entscheidende Grundlagen für die Entwicklung kognitiver, sozialer und emotionaler Fähigkeiten gelegt. Da die Entwicklungsfähigkeit einer Gesellschaft entscheidend vom Faktor Bildung abhängt, ist es von großer Bedeutung, das Potenzial aller Kinder in der frühkindlichen Phase zu erschließen. Dafür ist es notwendig, dass alle Kinder – insbesondere auch die aus bildungsfernen Elternhäusern – Zugang zu qualitativ hochwertigen Angeboten frühkindlicher Bildung und Betreuung haben.

Ein quantitativ ausreichendes System frühkindlicher Bildung und Betreuung bildet die Voraussetzung dafür, dass beide Elternteile einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Ein quantitativ und qualitativ ausreichendes System frühkindlicher Bildung und Betreuung ist hier eine wesentliche Voraussetzung, um die Vereinbarkeit möglich zu machen.

Das Potenzial frühkindlicher Bildung und Betreuung kann für eine Gesellschaft aber nur dann erschlossen werden, wenn frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote für alle Kinder auf einem qualitativ hohen Niveau zur Verfügung stehen. Die derzeitige politische Schwerpunktsetzung konzentriert sich bisher allein auf den Ausbau der Betreuungsplätze.

Einhellige Meinung der Pädagogen, Entwicklungspsychologen und der Ökonomen war es daher, dass in Deutschland eine umfassende – über den quantitativen Ausbau hinausgehende – Reform des Systems frühkindlicher Bildung und Betreuung notwendig ist.

Kindertageseinrichtungen sollten als erste Station des Bildungssystems anerkannt werden. Das in Deutschland immer noch verbreitete Bild der „Rabenmutter“, die ihre Kinder nicht selbst betreut, sondern „fremd“-betreuen lässt, kann wohl nur überwunden werden, wenn die Vorzüge von frühkindlicher Bildung und Betreuung für die Kinder in der Öffentlichkeit anerkannt werden. In diesem Kontext erscheint es durchaus sinnvoll, über die Einführung einer Pflicht zum Besuch einer Kindertageseinrichtung ab einem bestimmten Alter der Kinder nachzudenken, um die Anerkennung des Systems zu beschleunigen und allen Kindern gute Startchancen zu geben.

Der von der Bundesfamilienministerin geplante Ausbau der Plätze für Kinder unter drei Jahren ist unbedingt notwendig. Die Versorgungsquote für diese Altersgruppe muss dringend erhöht werden, so dass ein am Bedarf orientiertes Angebot an Plätzen existiert. Zudem ist eine stärkere Flexibilisierung der Angebote frühkindlicher Bildung und Betreuung vor allem hinsichtlich der Öffnungszeiten erforderlich, um Eltern eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.

Gute Qualität frühkindlicher Bildung und Betreuung ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass Kinder sich wohl fühlen und gut entwickeln können, aber auch dafür, dass Eltern das System anerkennen und ihre Kinder gerne in Kindertageseinrichtungen geben. Ziel muss sein, dass alle Kinder gute frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote in Anspruch nehmen. Um dieses Ziel erreichen zu können, müssen in einem ersten Schritt strukturelle Rahmenbedingungen für qualitativ gute Arbeit geschaffen werden. Diesbezüglich ist eine Setzung von international anerkannten Qualitätsstandards in der Frühpädagogik auf Ebene des Bundes sinnvoll, damit eine Einheitlichkeit von Bildungschancen in Deutschland gewährleistet werden kann. Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung auf der Ebene der Einrichtungen ist hier das Ziel.

Die eben skizzierten Reformen in quantitativer und qualitativer Hinsicht verlangen deutlich höhere Investitionen in den Bereich der frühkindlichen Bildung, bei der im internationalen Vergleich bisher in Deutschland eine Unterfinanzierung zu konstatieren ist. Diesen Investitionen stehen nachweislich erhebliche externe Effekte und Erträge gegenüber, die eine staatliche (Mit-)Finanzierung des Systems erfordern – z.B. höhere Einkommensteuer- und Sozialversicherungseinnahmen aufgrund der Beschäftigungseffekte, mittel- bis langfristig sinkende Ausgaben in der Jugendhilfe, etc.

Das Problem ist jedoch, dass die Investitionen in einer Phase dringender Haushaltskonsolidierung getätigt werden müssten, die Erträge aber überwiegend erst mittel- bis langfristig zum Tragen kommen. Eine ausreichende Finanzierung des Systems frühkindlicher Bildung und Betreuung ist nur zu erreichen, wenn die politische Einsicht in die Bedeutung eines guten Systems frühkindlicher Bildung und Betreuung für eine Gesellschaft da ist. Außerdem muss die Neustrukturierung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden im Rahmen der zweiten Stufe der Föderalismusreform gelingen, um die Fehlanreize auf kommunaler Ebene zu beseitigen und den Kommunen eine ihren Aufgaben entsprechende Finanzausstattung zu gewähren.

Ansprechpartner für Rückfragen und Interviews:

Prof. Dr. Thomas Apolte
Scharnhorststr. 100
48151 Münster
1. Etage, Raum 123
Tel.: (02 51) 83 – 2 43 04
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Media Contact

Dr. Stephanie Schröder Universität Münster

Weitere Informationen:

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