Frauen versuchen es öfter

Frauen trotzdem weniger selbstmordgefährdet als Männer

Die relative Suizidimmunität von Frauen ist bemerkenswert: Männer verüben zwei bis drei mal öfter Selbstmord als Frauen. Allerdings unternehmen Frauen wesentlich öfter als Männer den Versuch eines Selbstmords. Dieses paradoxe Verhaltensmuster erklärt Professor Dr. Christa Lindner-Braun am Forschungsinstitut für Soziologie der Universität zu Köln aus erlernten weiblichen Rollenbildern.

Mit der Verwendung weniger gefährlicher Suizidmethoden lässt sich das Paradoxon jedoch nicht auflösen. Bei Männern und Frauen dominiert z.B. in Deutschland die harte Suizidmethode „Erhängen“ und mit zunehmendem Alter der Frauen steigt auch die Gefährlichkeit der verwendeten Suizidmethode.

Allgemein weisen besonders geschiedene Männer und ältere Menschen eine höhere Selbstmordrate auf, wohingegen insbesondere jüngere Frauen häufiger einen Selbstmordversuch riskieren. Im Gegensatz zu einem beabsichtigten tödlich endenden Selbstmord werden durch Suizidversuche schwache, aber positive Wirkungen erwartet: Eine erhoffte absolute Ruhe oder Schutz vor einer kränkenden Umgebung, auch Aufmerksamkeit und Fürsorge von Bezugspersonen, die alternativ nicht (mehr) zu erlangen war. Es sind soziale Appelle durch jemanden, der sich als schwächer zu erkennen gibt und in dieser Rolle auch realistischer Weise auf Hilfe hoffen kann. Das Verhalten ist gemäß einer traditionellen weiblichen Rolle eingeübt, Frauen hoffen auf eine Veränderung der Situation durch außen.

Ursache für die Entstehung einer Suizidneigung ist die Verfolgung abnormer zu hoch oder zu niedrig gesteckter Lebensziele. Wenn die individuellen Ansprüche zu hoch oder zu niedrig sind, wird ein Prozess eingeleitet, der zur Wahrnehmung von Ausweglosigkeit führt. Eine normale und langfristige Reaktion auf Misserfolg wäre es, sich einer leichteren Aufgabe zuzuwenden, also das Anspruchsniveau zu senken oder nach Erfolg kontinuierlich zu steigern. Werden hingegen permanent z.B. zu schwierige Ziele verfolgt, ist nicht nur der wiederholte Misserfolg vorprogrammiert, diese Strategie schützt auch auf Dauer nicht vor selbstbelastenden Erklärungen des Misserfolgs.

Bestimmte Erklärungsmuster sind für die persönliche Wahrnehmung von Erfolg oder Misserfolg der eigenen Handlungen verantwortlich. Typische Selbstinterpretationen führen Handlungserfolge auf instabile und externale, außerhalb der eigenen Person liegende Faktoren wie Glück zurück, Misserfolge aber auf stabile internale, in der eigenen Person liegende Faktoren wie die „eigene Unfähigkeit“. Ein solches Muster schneidet die Person kurz- und langfristig von subjektiven Erfolgserlebnissen ab. Zudem haben Misserfolge, die der eigenen Person zugeschrieben werden, stärkere negative Gefühle zur Folge als Misserfolge, die auf äußere Umstände geschoben werden. Umgekehrt verflüchtigt sich ein Erfolg, der als Glück interpretiert wird, schneller. So können weniger positive Affekte angesammelt werden. Diese reichen auch mit der Zeit nicht aus, negative Affekte zu kompensieren. Damit erklärt sich, dass oft geringfügige und für die soziale Umgebung unverständliche Beeinträchtigungen der Anlass für einen Suizid waren. Eine wichtige Konsequenz davon ist, dass immer weniger Handlungsalternativen als Ausweg zum Suizid wahrgenommen werden. Der Handlungsspielraum schrumpft. Immer weniger Handlungsalternativen werden als solche erkannt und die Person entbehrt jeder Möglichkeit, in kritischen Situationen Problemlösungen und Auswege zu erkennen, es sei denn, die soziale Umwelt durchbricht und korrigiert diese mutmaßlich früh erlernten kognitiven Interpretationsmuster. Dies gilt für Frauen wie für Männer.

Ihren relativen Suizidschutz verlieren Frauen in professionellen- und Dienstleistungsberufen. Sie sind gleich oder stärker suizidgefährdet als Männer in vergleichbaren Positionen. In manchen Berufsgruppen, wie z.B. Ärztinnen, sind Frauen stärker gefährdet als ihre männlichen Kollegen. Den Grund hierfür sieht Professor Lindner-Braun in für Frauen rollenuntypischen Leistungssituationen, die selbstwertungünstige Attributionen für Erfolg oder Misserfolg begünstigen. Eine mögliche Korrektur selbstentlastender Interpretationen durch die soziale Umgebung ist außerdem angesichts eingeschränkter Netzwerkressourcen und sozialer Isolation am Arbeitsplatz in von Männern dominierten Berufen weniger wahrscheinlich.

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Gabriele Rutzen idw

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