Heparin
Ein "verdrehtes Boot" gegen Thrombose
Ungewöhnliche Struktur einer Zuckereinheit entscheidend für die antithrombotische Wirkung von Heparin
In vielen Hausapotheken findet sie sich als Mittel gegen kleinere Sportunfälle wie Blutergüsse: die Heparin-Salbe. Wichtig ist Heparin aber vor allem bei Operationen oder Bluttransfusionen, um Thrombosen und Embolien vorzubeugen.
Heparin ist ein körpereigener Stoff, der die Blutgerinnung hemmt: Heparin verstärkt die Wirkung von Antithrombin, eines Hemmstoffes der menschlichen Blutgerinnungsfaktoren. Heparin ist ein Polysaccharid, das heißt es besteht aus einer langen Kette von Zuckereinheiten. Eine bestimmte Sequenz aus fünf Zuckern spielt eine entscheidende Rolle für die Wirkung von Heparin: Sie bindet an Antithrombin. Französische Forscher um Pierre Sinaÿ und Maurice Petitou haben nun ein ganz wichtiges Puzzleteilchen zum Gesamtbild hinzugefügt.
Das Grundgerüst jeder der Zuckereinheiten ist ein flexibler Sechsring aus einem Sauerstoff- und fünf Kohlenstoffatomen, und am stabilsten ist dieser Sechsring in einer bestimmten Konformation, der so genannten Sesselform: Gedanklich von einem planaren Sechseck ausgehend klappe man eine Spitze schräg nach oben (die "Lehne"), die gegenüber liegende schräg nach unten – wie den Fußteil bei einem bequemen Fernsehsessel. So verbleibt eine rechteckige Fläche als "Sitzpolster". Innerhalb der Kette kann der Sessel verschieden orientiert sein, je nachdem welche Spitze nach oben oder nach unten geklappt ist.
Einer der Bausteine der Fünferkette, eine Iduronsäure-Einheit, scheint aus der Reihe zu tanzen und bevorzugt in einer anderen, ungewöhnlichen Konformation vorzuliegen: Ausgehend von unserem gedachten planaren Sechseck klappen wir diesmal beide gegenüber liegenden Spitzen nach oben – wie Heck und Bug eines Bootes. Zusätzlich wird der verbliebene quadratische "Bootsrumpf" noch in sich verdrillt. Daher der Name dieser Konfiguration: "schiefes Boot".
Sollte die ungewöhnliche Iduronsäure für die Bindung an Antithrombin wichtig sein? Beweglich wie Zuckerringe sind, ist es nicht möglich, die verschiedenen Konformere voneinander zu trennen und getrennt zu untersuchen, da sie sich ineinander umwandeln können.
Die Forscher griffen daher zu einem Trick: Sie synthetisierten drei Varianten der Fünferkette. Die Spitzen des Iduronsäure-Sechsecks wurden dabei miteinander verbrückt beziehungsweise mit einem voluminösen Anhängsel ausgestattet und auf diese Weise in drei Konformationen fixiert – zwei Sesselformen und dem schiefen Boot. Und siehe da: Nur das Pentasaccharid mit der Iduronsäure als schiefes Boot bindet an Antithrombin. "Damit ist eindeutig belegt, dass die Iduronsäure-Einheit während der Bindung an Antithrombin in dieser ungewöhnlichen Konformation vorliegt," so Sinaÿ. Diese Erkenntnis eröffnet neue Möglichkeiten für das Design von Heparin-Analoga.
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Kontakt:
Prof. P. Sinaÿ
Département de Chimie
Associé au CNRS
Ecole Normale Supérieure
24 Rue Lhomond
F-75231 Paris cedex 05
Frankreich
Fax: (+33) 1-44-32-33-97
E-Mail: pierre.sinay@ens.fr
Dr. M. Petitou
Département Cardiovasculaire / Thrombose
Sanofi-Synthélabo
195 route dEspagne
F-31036 Toulouse cedex
Frankreich
Fax: (+33)5-61-16-22-86
E-Mail: maurice.petitou@sanofi-sythelabo.com
Quelle: Angewandte Chemie 2001, 113 (9), 1723 – 1726
Hrsg.: Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh)
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