Auf der Spur des Koala-Retrovirus

Retroviren im Erbgut gefährden das Überleben der Koala-Population. Foto: Daniel Zupanc

Das Koala-Retrovirus (KoRV) ist das bislang einzig bekannte Retrovirus bei Tieren, das zurzeit beim Eindringen in das Erbgut von Keimzellen beobachtet werden kann und danach von Generation zu Generation weitervererbt wird. Das Koala-Retrovirus löst das AIDS-ähnliche „Koala Immune Deficiency Syndrome“ (KIDS) aus. Im Norden Australiens ist das Koala-Retrovirus schon weit verbreitet; im Süden und auf Inseln in der Nähe des australischen Festlands tritt es bisher (noch) selten auf. 

Um herauszufinden, wie das Retrovirus in das Erbgut der Keimzellen von Koalas (Phascolarctos cinereus) eindringt, nutzten die WissenschaftlerInnen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin, der California State University, dem Wiener Zoo, dem Washingtoner National Museum of Natural History und der University of Illinois at Urbana-Champaign eine relativ neue Technik.

Mit der Hybridisierungs-Einfang-Methode (hybrid capture method) „fischten“ sie nach vollständigen Genomsequenzen des KoRV. Als Probenmaterial standen den ForscherInnen museale Koala-Häute aus dem späten 19. und dem 20. Jahrhundert sowie frische DNS-Proben zur Verfügung. Somit konnten die WissenschaftlerInnen etwa 130 Jahre Evolution des KoRV verfolgen.

Mithilfe der neuen Methode gelang es den ForscherInnen, aus altem Erbgut der Koala-Häute und frischen DNS-Proben die KoRV-Sequenzen des gesamten Retrovirus-Genoms zu finden. Bisherige Untersuchungen nutzten die aufwändige Methode der Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Damit konnte nur ein einziger viraler Genabschnitt betrachtet werden. Mittels der einfacheren Hybridisierungs-Einfang-Methode ist es jetzt möglich, das vollständige Retrovirus-Genom sowie die Position des Retrovirus-Genoms innerhalb des Koala-Genoms gleichzeitig zu untersuchen.

Die Hybridisierungs-Einfang -Methode ist ein Anreicherungsverfahren, bei dem ausgewählte KoRV-Sequenzen aus Genom-Bibliotheken auf kleine magnetische Kügelchen fixiert werden. Diese „Gensonden“ bestehen aus kurzen, einsträngigen DNS-Fragmenten und dienen als „Köder“; die Ziel-DNS kann so „eingefangen“ werden. Die gesuchte DNS bindet sich an die Gensonden; unerwünschte DNS wird im Anschluss „ausgewaschen“.

Mithilfe realistischer dreidimensionaler Modellierungen der vom KoRV produzierten Proteine stellte das Forscherteam fest, dass sich das Koala-Retrovirus innerhalb der letzten 130 Jahre kaum verändert hat und somit über mehrere Generationen den Gesundheitszustand der Koalas negativ beeinflusste.

Kürzlich gefundene Varianten des Koala-Retrovirus (KoRV-B und KoRV-J) konnten in den Museumsproben nicht nachgewiesen werden, sind also vermutlich erst vor kurzem entstanden. Das deutet auch darauf hin, dass das sonst als stabil einzuschätzende Koala-Retrovirus die Fähigkeit besitzt, sich plötzlich verändern zu können. Neue und unvorhersehbare Krankheiten könnten die Folge sein.

„Generell deuten die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass der Einbau von Retrovirus-DNS in die Koala-DNS öfter und schneller als bisher angenommen von statten geht. Interessant ist auch, dass sich die Retrovirus-DNS anfangs kaum ändert. Um jedoch Bestandteil aller Mitglieder einer Wirtspopulation zu werden, braucht das Retrovirus offensichtlich eine lange Zeit“, kommentiert der Projektleiter Prof. Dr. Alex Greenwood vom IZW.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Entwicklung großer Teile der Säugetiergenome durch mehrfachen und zum Teil schnellen Einbau von Retrovieren-DNS in die Wirts-DNS beeinflusst wurde. Vermutlich laufen solche Prozesse momentan unbemerkt in vielen Arten ab. Es dauert jedoch lange Zeit, bis es zu einer Merkmalsausprägung für eine Art kommt.

Publikation:
Tsangaras K, Siracusa M, Nikolaidis N, Ishida Y, Cui P, Vielgrader H, Helgen K, Roca A, Greenwood AD (2014): Hybridization capture reveals evolution and conservation of the entire koala retrovirus genome. PLOS ONE 9, e95633. DOI: 10.1371/journal.pone.0095633.

Kontakt:
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Alfred-Kowalke-Str. 17
10315 Berlin
Prof. Alex Greenwood, +49 30 5168 255, greenwood@izw-berlin.de
Steven Seet, +49 30 5168 125, seet@izw-berlin.de

http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0095633 – Originalveröffentlichung
http://www.ize-berlin.de

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Gesine Wiemer Forschungsverbund Berlin e.V.

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