Was heißt hier Schrott? Berliner Fraunhofer-Forscher zeigen, wie gebrauchte Elektronikbauteile im Auto wiederverwendet werden

Konzentrierte sich die Elektronik noch vor wenigen Jahrzehnten auf eine einzige Leiterplatte, sorgen mittlerweile elektronische Steuereinheiten, Sensoren und Prozessoren für optimalen Fahrkomfort und maximale Sicherheit*. Während die eigentliche Fortbewegung beinahe nebensächlich wird, stellt sich jedoch die Frage, wie sich die Versorgung mit Ersatzteilen für den gesamten Zeitraum des Fahrzeuglebens gestaltet.

Da nämlich der Innovationszyklus von Elektronik mit fünf Jahren deutlich unter der Produktlebensdauer von Autos – meist 20 Jahre – liegt, können Zulieferer angesichts vereinbarter Lieferverpflichtungen schnell ins Schwitzen geraten.
Dieser Angebotslücke versuchen Elektronikhersteller als Zulieferer bereits zu begegnen, indem sie Baugruppen nachfertigen, sie lange Zeit lagern oder für zukünftige Systeme abwärts kompatibel gestalten. Doch nur selten sind solche Maßnahmen wirtschaftlich sinnvoll. Deshalb haben Forscher des Fraunhofer IZM zusammen mit einem Konsortium aus Zulieferern und Recyclingunternehmen nun eine weitere Möglichkeit der Ersatzteilversorgung ins Spiel gebracht, die so alt ist wie der erste Schrottplatz: die Wiederverwendung gebrauchter Baugruppen.
Was lange Zeit nur für (elektro)mechanische Fahrzeugteile wie Lichtmaschine oder Anlasser galt, soll sich nun auch für winzige elektronische Bauteile durchsetzen? Zu groß waren bislang die Vorbehalte hinsichtlich Qualität und Garantie. Doch Studien der Partner in dem Projekt namens „ReECar“ zeigen überraschende Ergebnisse: Um die Zuverlässigkeit gealterter Fahrzeug-Elektronik zu untersuchen, unterzogen sie u.a. etwa 10 Jahre alte, gebrauchte ABS- und Zentral-Steuergeräte extremen Belastungstests durch beschleunigte Alterung und ließen sie die Qualifikationsprogramme der jeweiligen Neuproduktion in mehrfachen Zyklen durchlaufen. Unter anderem wurden die Steuergeräte thermischen Schocks, langsamen Temperaturwechseln sowie Vibrations- und Feuchtebelastungen ausgesetzt. Ergebnis: Alle Prüflinge erfüllten sowohl die elektrischen als auch die mechanischen Anforderungen. Die zusätzliche Belastung durch den vorherigen Feldeinsatz hatte keinen funktionsrelevanten Einfluss auf die Steuergeräte.
Am Fraunhofer IZM wurden daraufhin die Lotgefüge, Chiplötverbindungen und Relaiskontakte mittels Metallografie und Röntgenmikroskopie bzw. REM untersucht. Bei betrachteten Bauelementen konnten keine charakteristischen belastungsrelevanten Eigenschafts- oder Schädigungsbilder festgestellt werden.
Neben wirtschaftlichen und logistischen Aspekten steht die Untersuchung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit der Wiederverwendung im Vordergrund. Hierbei zeigt sich zunächst, dass die Rückführung gebrauchter Baugruppen im Vergleich zur alternativen Langzeitlagerung oder Nachfertigung in punkto sozialer Nachhaltigkeit nicht ganz so günstig abschneidet. Dies liegt aufgrund der etwas benachteiligten Prozesse wie Demontage, Prüfung oder Reparatur von gebrauchten und möglicherweise verunreinigten Bauteilen nahe. In punkto ökologischer Nachhaltigkeit übertrifft ein Wiederverwertungskonzept jedoch etablierte Methoden um ein Vielfaches.

Das Projekt, an dem neben dem Fraunhofer IZM auch die Elektronikhersteller Conti Temic microelectronic GmbH und Hella KGaA Hueck & Co., die Recyclingunternehmen Callparts System GmbH und RETEK AG sowie das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik beteiligt sind, wird vom BMBF mit rund 1,35 Mio. Euro gefördert. Eine Abschlusspräsentation zum Projekt mit allen wesentlichen Ergebnissen findet am 13. November 2008 in Dortmund statt. Weiterführende Infos hierzu unter: www.reecar.org

*Unternehmensberater prognostizieren dem Markt für Fahrzeug-Elektronik bis 2015 ein jährliches Plus von sechs Prozent. Dann wird die Elektronik bereits 30 Prozent des gesamten Fahrzeugwertes ausmachen.

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