Rückenschulen verfehlen ihre Hauptzielgruppen

Heidelberger Studie belegt einseitige Nutzung der Vorbeugemaßnahme gegen Rückenschmerzen / Prävention erreicht die Risikopersonen häufig nicht

Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf ist Leiter der Tagesklinik für orthopädische Schmerztherapie. / Foto: Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg. Rückenschul-Kurse werden kaum von Personen besucht, die davon profitieren könnten. Nutzer sind vor allem Personen mit einem geringen Risiko für Rückenschmerzen. Dies hat ein Forscherteam der Medizinischen Fakultät Heidelberg erstmals in einer repräsentativen, bundesweiten Untersuchung mit über 6.000 Teilnehmern festgestellt.

Der Medizinsoziologe Dr. Sven Schneider und der Orthopäde Professor Dr. med. Marcus Schiltenwolf, beide Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg (Ärztlicher Direktor: Professor Dr. Volker Ewerbeck), wurden im Oktober 2004 auf dem Schmerzkongress in Leipzig für ihre Forschungsarbeit mit dem mit 500 Euro dotierten Posterpreis ausgezeichnet.

Rückenschulen bringen ihren Besuchern bei, wie sie durch gezieltes Training, eine kontrollierte Körperhaltung und richtiges Verhalten im Alltag ihre Rückenprobleme frühzeitig vermeiden oder lindern können. Denn neben dem altersbedingten Verschleiß der Wirbelsäule gelten vor allem ungünstige Körperhaltungen sowie stark rückenbelastende Bewegungen als Auslöser für Rückenschmerzen. Zwar klagen zwei von drei Deutschen innerhalb eines Jahres über Rückenschmerzen. Aber nur jeder sechste Deutsche hat mindestens einmal in seinem Leben eine Rückenschule besucht.

Die Heidelberger Wissenschaftler haben den anonymen „Bundesgesundheitssurvey“ des Robert-Koch-Instituts, Berlin, ausgewertet, eine repräsentative Stichprobe von 6.159 Bürgern im Alter von 18 bis 79 Jahren aus dem gesamten Bundesgebiet. Die Teilnahme an Rückenschul-Kursen unterschiedlicher Anbieter (Arbeitgeber, Volkshochschulen, Krankenkassen etc.) setzten sie in Beziehung zu anderen persönlichen Daten.

Typische Nutzer von Rückenschulen sind gesundheitsbewusste Frauen

Typische Nutzer von Rückenschulen sind danach weibliche Teilzeitbeschäftigte oder Hausfrauen aus der Mittelschicht, die Sport treiben und sich gesund ernähren. Typische Nichtnutzer sind Männer mit Vollzeitjobs und niedrigem Sozialstatus, die einen passiven, ungesunden Lebensstil pflegen.

„Mit ihren Präventionsangeboten erreichen die Krankenkassen oder andere Anbieter nicht die eigentlichen Zielgruppen, sondern häufig gesunde Mitversicherte“, erklärt Dr. Sven Schneider. „Natürlich profitieren auch die typischen Teilnehmer von solchen Rückenschulen. Gerade die Hochrisikogruppen wie körperlich schwer belastete Arbeiter mittleren und höheren Alters mit passivem, ungesundem Lebensstil nehmen diese Angebote jedoch nur selten wahr.“

Eine psychische Barriere für Risikopersonen sei möglicherweise die typische Teilnehmerstruktur der Kurse (meist sportliche, jugendorientierte und mehrheitlich weibliche Teilnehmer), meinen die Heidelberger Wissenschaftler. Die Kurse würden zudem häufig nachmittags angeboten, dann also, wenn die eigentliche Zielgruppe noch arbeitet.

Rückenschulen sollten neben gesundheitsbewussten Personen vor allem gefährdete Bevölkerungskreise erreichen. Gefährdete werden aber eher nicht durch die Angebote angesprochen. Hier liegt für die Anbieter ein großes Potential, Rückenschulangebote auf die beschriebenen Risikogruppen zu konzentrieren und diesbezüglich auszuweiten. Die seit Jahren steigenden Krankheitskosten wegen Rückenschmerzen und Wirbelsäulenerkrankungen belegen diese Notwendigkeit.

Der Ort der Rückenschule kann dazu beitragen, dass Risikogruppen erreicht werden. „Als besonders effizient haben sich betriebsinterne Rückenschulkurse für Arbeiter erwiesen, welche neben Kräftigungsübungen auch Bewegungs- und Haltungsschulungen am Arbeitsplatz vermitteln“, sagt Professor Schiltenwolf. An solchen Angeboten herrsche derzeit jedoch ein gravierender Mangel.

Ansprechpartner:

Dr. Sven Schneider, Projektleiter:
Tel 06221/96 92 55
E-Mail: sven.schneider@ok.uni-heidelberg.de

Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf, Leiter Tagesklinik für orthopädische Schmerztherapie:
Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg
Department of Orthopaedic Surgery, University of Heidelberg
Sektion Schmerztherapie
Schlierbacher Landstraße 200
69118 Heidelberg, Germany
Tel.: +49 6221 / 96-63 89, Fax: +49 6221 / 96-92 88
E-Mail: marcus.schiltenwolf@ok.uni-heidelberg.de

Internet:
http://www.orthopaedie.uni-hd.de/
(unter „Abt. Orthopädie I“ / „Sektion Schmerztherapie“)

Literatur:
Schneider S, Hauf C, Schiltenwolf M (2004): Ineffektive Rückenschmerzprävention wegen mangelhafter Zielgruppenerreichung – Eine bundesweite Repräsentativstudie zu Nutzerstruktur und Teilnahmefaktoren an Rückenschulen. Der Schmerz 18 ,Suppl. 1, S94-S95

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Dr. Annette Tuffs idw

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