Gendefekt – Fettreiche Nahrung hilft bei Bewegungsstörungen

Damit unser Gehirn arbeiten kann, braucht es Energie – vor allem in Form von Traubenzucker. Auf seinem Weg vom Blut ins Hirn muss der Traubenzucker die Blut-Hirn-Schranke überwinden, dabei hilft ihm ein hoch spezialisierter Eiweißstoff, der Glucose-Transporter. Die Wissenschaftler um Prof. Dr. Holger Lerche, Leiter der Epileptologie der Universitätsklinik für Neurologie, haben nun einen vererbbaren Defekt an dem Transporter entdeckt und seine Wirkungsweise untersucht.

Verbrauchen Menschen mit diesem Defekt z.B. bei sportlicher Betätigung besonders viel Energie, kann der Glucose-Transporter die Nervenzellen im Gehirn nicht mehr ausreichend mit Energie versorgen. „Da die Nervenzellen auch für die Koordination von Bewegungsabläufen zuständig sind, leiden die Betroffenen unter Bewegungsstörungen, die ihren Alltag massiv einschränken“, erklärt Professor Lerche. Der Defekt kann im Weiteren außerdem zu einer Verzögerung der Entwicklung, zu Epilepsie und Blutarmut führen.

Hilfe bietet den Betroffenen eine fettreiche Ernährung. „Dabei macht man sich zu Nutze, dass sich das Gehirn im Hungerzustand innerhalb weniger Tage vom Energieträger Traubenzucker auf den Verbrauch von Fett, sogenannter Ketonkörper, umstellt“, erklärt Lerche. „Bietet man nun eine fettreiche Ernährung an, so lässt sich das Gehirn überlisten und ernährt sich von Ketonkörpern. Die Nervenzellen werden wieder ausreichend versorgt, die Bewegungsstörungen verschwinden.“ Bei einer von dem Gendefekt betroffenen Familie verbesserten sich dank der durch die neuen Erkenntnisse der Wissenschaftler eingeleiten Ernährungsumstellung die Entwicklung der Kinder, auch die bis dahin nicht behandelbaren epileptischen Anfälle verschwanden.

Die Wissenschaftler fanden außerdem heraus, dass der Gendefekt auch zur Blutarmut führen kann: Das gleiche Eiweiß, das für den Traubenzuckertransport ins Gehirn zuständig ist, transportiert auch Traubenzucker in die roten Blutkörperchen. Der Gendefekt macht das Transporteinweiß durchlässig für gelöste Salze (Ionen). Insbesondere Kalziumionen können dadurch ungehindert in die roten Blutkörperchen einströmen und zu ihrem Absterben führen.

Durch das Verständnis solcher erblichen Defekte erhoffen sich die Wissenschaftler langfristig bessere Behandlungsmöglichkeiten für Bewegungsstörungen, Epilepsie und ähnliche Erkrankungen des Nervensystems. Zudem wollen sie der Vermutung nachgehen, dass solche Defekte der Glucose-Transporter viel häufiger sein könnten, als bisher angenommen. Die Arbeit der Ulmer Wissenschaftler, die für die Verwirklichung des Projektes mit anderen Gruppen in Göttingen, Dresden, Tübingen, London und Bari kooperiert haben, wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes, durch ein Forschungsnetz der Europäischen Union (Epicure) und durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt.

Die Arbeit wird am 1. Mai 2008 online in der Zeitschrift 'The Journal of Clinical Investigation' publiziert (Weber et al., „GLUT1 mutations are a cause of paroxysmal exertion-induced dyskinesias and induce hemolytic anemia by a cation leak“).

Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Ansprechpartner ist:
Prof. Dr. med. Holger Lerche
Neurologische Klinik und Institut für Angewandte Physiologie
Universität Ulm, Zentrum für Klinische Forschung
Tel: 0731-177-5203 oder 0731-500-63117
e-mail: holger.lerche@uni-ulm.de
Petra Schultze
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsklinikum Ulm
Albert-Einstein-Allee 29
D – 89081 Ulm
Tel.: +49 – (0)731 – 500.43.043
Fax: +49 – (0)731 – 500.43.026
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