Gehirnaktivität bei Entscheidungsprozessen: Kosten-Nutzen-Check im Frontalhirn

Bei vielen Entscheidungen werden die zu erwartenden Kosten und der voraussichtliche Nutzen abgewogen, das ist beim Menschen nicht anders als beim Tier. Kosten und Nutzen sind dabei hypothetische Maße für den Wert der mit einer Handlungsoption verknüpften Belohnung (beispielsweise der Menge an Geld oder Nahrung) und den dafür zu leistenden Aufwand.

Wählt zum Beispiel ein Raubvogel sein Frühstück aus, schlägt auf der Nutzenseite der erwartete Nährwert der Beute und bei den Kosten die für den Beutefang notwendige Stoffwechselenergie zu Buche. Welche Gehirnbereiche Kosten-Nutzen-Analysen bei Menschen und höheren Tieren steuern, ist noch kaum bekannt.

Frühere Untersuchungen an Nagetieren haben zwar wesentlich dazu beigetragen, einzelne Teilstrukturen von entscheidungssteuernden Schaltkreisen des Gehirns zu identifizieren. Die Stoffwechselaktivität des gesamten Gehirns bei komplexen kognitiven Leistungen wie Entscheidungsabläufen konnte man bisher jedoch nicht messen. Nun wurden geeignete Testaufgaben entwickelt und spezielle Messgeräte eingesetzt, die solche Experimente möglich machten.

Für die Untersuchung verabreichten die Wissenschaftler einer Laborratte zunächst eine Flüssigkeit mit Zuckermolekülen, die geladene Teilchen (Positronen) aussenden. Danach absolvierte das Tier verschiedene Aufgaben, in denen das Kosten-Nutzen-Verhältnis der zur Auswahl stehenden Handlungsoptionen systematisch variiert wurde. Die markierten Zuckermoleküle reicherten sich vor allem in jenen Gehirnarealen an, deren Stoffwechselaktivität bei der Bewältigung der Aufgabe erhöht war. Im Anschluss daran wurde die Stoffwechselaktivität des Gehirns mithilfe einer Mikro-Positronenemissionstomographie (Mikro-PET) an der narkotisierten Laborratte bestimmt. Um Bereiche mit veränderter Stoffwechselaktivität exakter zu lokalisieren, wurden die daraus errechneten Schnittbilder mit Bildern des Gehirns überlagert, die mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) entstanden waren. Durch das Design des Experiments konnten die Forscher jene Hirnareale erkennen, deren Stoffwechselaktivitätsänderungen in Zusammenhang mit Kosten-Nutzen-abhängigen Entscheidungen stehen.

Nach den Daten ist vor allem der vorderste Teil der Hirnrinde, der Präfrontalcortex, die Schlüsselstruktur eines Schaltkreises, der Entscheidungen steuert, ob sich eine Handlung unter Kosten-Nutzen-Aspekten „lohnt“. Die Erkenntnis ist wichtig für die Entwicklung neurobiologischer Modelle der Entscheidungsfindung. Solche Modelle sind auch für die Humanmedizin relevant, denn bei zahlreichen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen kommt es zu starken Störungen der Entscheidungsfindung. Interessant sind sie darüber hinaus für andere Wissenschaftsdisziplinen, die sich mit Entscheidungsabläufen beschäftigen, so für die Psychologie und die Wirtschaftswissenschaften.

Weitere Informationen bei Prof. Wolfgang Hauber, Biologisches Institut,
Tel. 0711/685-65003, e-mail: hauber@bio.uni-stuttgart.de
*) Originalpublikation: Effort-based decision making in the rat: An [18F]Fluorodeoxyglucose micro positron emitting tomography study. H. Endepols, S. Sommer, H. Backes, D. Wiedermann, R. Graf, W. Hauber. In: Journal of Neuroscience (2010), 30(29):9708-9714

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Andrea Mayer-Grenu idw

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