Neue Erkenntnisse zur Herkunft der Tiere

Lebendaufnahme im Binokular, Größe ca. 5 mm. Bernd Schierwater

Die Herkunft der Vielzeller ist bis heute nicht zufrieden stellend geklärt. Wissenschaftler der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover und der Yale University in den USA liefern jetzt ein wichtiges Teil zu diesem Puzzle des Lebens. In der Juni-Ausgabe 2006 des amerikanischen Fachmagazins, Proceedings of the National Academy of Science of the USA (PNAS), beschreiben sie die einzigartige Struktur des mitochondrialen Genoms der Placozoa. Ihre Ergebnisse deuten daraufhin, dass die Placozoa ein Übergangsstadium zwischen Ein- und Vielzellern bilden. Placozoa sind die strukturell einfachsten aller Vielzelligen Tiere (Metazoa). Mit nur einer einzigen Art, Trichoplax adhaerens, bilden sie einen eigenen Tierstamm. Bei ihren Untersuchungen konzentrierten sich die Wissenschaftler auf die Mitochondrien der Placozoa: Zellorganellen, die für die Energieversorgung in der Zelle zuständig sind. Sie enthalten, zusätzlich zum Erbgut im Zellkern, einen eigenen Satz Erbinformationen.

Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Bernd Schierwater, Leiter des Instituts für Tierökologie und Zellbiologie der TiHo, konnte gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Stephen Dellaporta von der Yale Universität zeigen, dass das Genom in den Mitochondrien von Trichoplax adhaerens das Größte aller Vielzeller ist. Es ist mehr als doppelt so groß wie bei anderen Vielzellern und gleichzeitig halb so groß wie bei Einzellern. Das mitochondriale Genom von Trichoplax adhaerens enthält genau wie bei Einzellern (z.B. Amöben) zusätzliche Gene und so genannte Introns (nicht übersetzbare Bereiche innerhalb von Genen). Das ist einzigartig und verweist auf einen direkten Übergang vom Einzeller zum Vielzeller. Auch die Sequenzanalyse aller mitochondrialen Gene unterstützt die These, dass die Placozoa der Ursprung aller Vielzeller sind.

Bereits vor 100 Jahren waren Wissenschaftler der Meinung, dass die Placozoa den Ursrpung aller Vielzelligen Tiere darstellen. Diese Tiere mit einem Durchmesser von wenigen Millimetern leben in warmen Meeren, vor allem an Korallenriffen. Sie haben keinen Kopf oder Schwanz, Rücken oder Bauch, keine Körperachse, keine Symmetrie und keine Organe. Der gesamte Tierstamm besteht bisher nur aus einer einzigen Art: Trichoplax adhaerens. Im Zuge der Neuordnung der Stammbäume durch DNA-Analysen in den 1990er Jahren wurden sie den Nesseltieren (Quallen und Polypen) zugeordnet. Mit der Erforschung des mitochondrialen Genoms von Trichoplax adhaerens erhält der Stammbaum der Vielzelligen Tiere erstmals eine Wurzel, die es ermöglicht, die Herkunft aller anderen Tierstämme sehr viel besser als bisher ableiten zu können. „Einige der bisher verborgen gebliebenen Geheimnisse der Entstehung der Vielzeller werden vielleicht entschlüsselt werden können, jetzt da der nächste lebende Verwandte des Ur-Ahnen aller Vielzelligen Tiere identifiziert scheint,“ sagt Prof. Dr. Bernd Schierwater.

Der vollständige Artikel ist im Internet einsehbar, unter:
http://www.pnas.org/cgi/reprint/0602076103v1.pdf
Für weitere Informationen steht Ihnen gern zur Verfügung:
Prof. Dr. Bernd Schierwater
Institut für Tierökologie und Zellbiologie
Tel.: (05 11) 9 53-88 80
bernd.schierwater@ecolevol.de

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Sonja von Brethorst idw

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