Radioaktiven Abfall entschärfen

Insbesondere die über Millionen von Jahren zu garantierende Isolation von der Umwelt ist Gegenstand von Kontroversen und Diskussionen. Gelingt es die Dauer der notwendigen Isolation herabzusetzen, könnte der Müll auf diese Weise „eliminiert“ werden.

Für den Bau einer entsprechenden Anlage zur Transmutation der gefährlichen Reststoffe, untersuchen KernphysikerInnen der Technischen Universität (TU) Wien in einem europaweiten Konsortium die Wechselwirkung von Neutronen mit relevanten Materialien. Diese Ergebnisse sind die erforderliche Grundlage für die Entwicklung von Anlagen zur Umwandlung des radioaktiven Mülls. Ende September 2008 werden die Arbeiten an der verbesserten n_TOF-Anlage am CERN wieder aufgenommen.

Um die Isolationszeit von radioaktivem Müll herabzusetzen, müssen vor allem Aktinide, Elemente deren Kerne schwerer als Uran sind (z.B. Curium, Aktinium) aus dem Müll durch Umwandlung (Transmutation) in kurzlebige Kerne, entfernt werden. „Die Grundidee der Transmutation – diese wurde bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts formuliert – besteht in der Bestrahlung von Aktiniden mit schnellen Neutronen. Die dabei entstehenden hochangeregten Kerne erleiden eine Spaltung, die zu relativ kurzlebigen Kernen führt, die wiederum rasch in stabile Isotope zerfallen. Sie sind dann nicht mehr radioaktiv“, erklärt Professor Helmut Leeb vom Atominstitut der Österreichischen Universitäten.

Die erforderlichen Isolationszeiten von mehreren Millionen Jahren von radioaktivem Müll könnten so auf 300 bis 500 Jahre verkürzt werden. Durch die technologischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte, ist die Realisierung der Transmutation auf industriellem Niveau in den Bereich des Möglichen gerückt.

Die effiziente Transmutation von radioaktivem Abfall erfordert die Entwicklung neuer Anlagen. Neben speziell ausgelegten schnellen Reaktoren stellen Beschleuniger-getriebene Anlagen (Accelerator Driven Systems, ADS) ein mögliches neues Konzept dar. Darunter versteht man einen unterkritischen Reaktor, der keine Kettenreaktion aufrecht erhalten kann.

Die für den stationären Betrieb erforderlichen Neutronen werden von einem Protonenbeschleuniger mit einem im Reaktorkern positionierten Spallationstarget geliefert. „Bei der Spallation zertrümmert man mit hochenergetischen Protonen die Atomkerne des Targets (meist Blei), wobei im Normalfall eine hohe Zahl von Neutronen freigesetzt wird, die zum stationären Betrieb des Reaktors erforderlich sind. Schaltet man den Beschleuniger ab, so erlischt die Kettenreaktion,“ ergänzt Leeb. Weltweite Studien gehen davon aus, dass zur Umsetzung dieses auf wissenschaftlicher Basis vollständig verstandenen Konzepts auf industrielles Niveau zumindest zwei Jahrzehnte benötigt werden.

Wesentliche Voraussetzung für diese Entwicklung sind detailliertere Kenntnisse der Wechselwirkung und der Reaktionen von Neutronen mit Materialien, als sie bisher zur Verfügung stehen. Deshalb wurde am CERN (Genf) im Jahr 2000 die n_TOF Anlage in Betrieb genommen, die weltweit einzigartig, speziell für die Messung von Reaktionen an radioaktiven Materialien bei Beschuss mit Neutronen geeignet ist. In einem EU-Projekt, in dem die KernphysikerInnen der TU Wien wesentlich beteiligt waren, wurde von 2002 bis 2005 eine Vielzahl von bisher nur schlecht bekannten Einfang- und Spaltreaktionen gemessen.

Nach der durch den Bau des Large Hadron Colliders am CERN bedingten Pause wird nun Ende September 2008 vom Konsortium die verbesserte n_TOF Anlage mit einem neuen Target in Betrieb genommen. Die erste Gruppe von Experimenten sind Neutroneneinfangreaktionen an Eisen und Nickel, welche von Wiener KernphysikerInnen (TU Wien und Universität Wien) analysiert werden. Neben genauen Reaktionsdaten für Transmutationsanlagen sind die Ergebnisse auch für die Astrophysik von Interesse.

Ein alternativer Kernbrennstoff, der zu einem reduzierten Anfall von radioaktivem Abfall führt, ist der „Thorium-Uranzyklus“. Leeb: „Thorium ist ein möglicher Kernbrennstoff, der zu einem leichten Uran Isotop gebrütet werden kann, bei dessen Spaltung praktisch keine Aktinide entstehen. Außerdem kommt Thorium etwa fünfmal häufiger als Uran vor. Allerdings müssen dafür noch spezielle Reaktoren entwickelt werden, die dem geänderten Reaktionsschema und der etwas härteren Gammastrahlung gerecht werden. Ein Land, welches bereits Versuche mit Thorium im Reaktorkern macht, ist Indien.“

Rückfragehinweis:
Ao.Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Helmut Leeb
Atominstitut der Österreichischen Universitäten
Technische Universität Wien
Wiedner Hauptstrasse 8-10/E141, A-1040 Wien
T +43/1/58801-14258, F +43/1/58801-14299
E helmut.leeb@tuwien.ac.at
Aussender:
Mag. Daniela Hallegger
TU Wien – PR und Kommunikation
Karlsplatz 13/E011, A-1040 Wien
T +43/1/58801-41027, F +43/1/58801-41093
E daniela.hallegger@tuwien.ac.at

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Werner Sommer idw

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