Warum Reifen auf der Straße haften – Neue Theorie macht lange Tests überflüssig

Phänomenen der Haftung auf der Spur: Dr. Bo Persson, Formel-1-Reifen fest im Griff und die Theorie im Rücken. <br>Foto: Forschungszentrum Jülich

Was haben Rennreifen der Formel 1 mit Fliegenfüßen gemeinsam? Diese scheinbar skurrile Frage lässt sich mit Hilfe der Physik beantworten: Sie sind weich und anschmiegsam und zudem dünsten beide eine mehr oder weniger klebrige Flüssigkeit aus. So werden Unebenheiten auf dem Asphalt oder – bei der Fliege – im Fensterglas ausgefüllt. Die Kontaktfläche wird größer und die Haftung dadurch verbessert. Diesen und anderen Phänomenen der Haftung ist Dr. Bo Persson aus dem Institut für Festkörperforschung im Forschungszentrum Jülich auf der Spur. Eine neue von ihm entwickelte Theorie macht es nun erstmals möglich, zu berechnen und vorherzusagen, wie gut ein Reifen aus einer bestimmten Gummimischung auf dem Asphalt haften wird – ohne einen ganzen Reifen produzieren zu müssen.

Autoreifen sind sehr unterschiedlich zusammengesetzt. Die unterschiedlichen Gummimischungen sind auf die jeweilige Jahreszeit und deren Durchschnittstemperaturen hin optimiert. Reine Winterreifen sollte man daher nicht im Sommer fahren. Stets ist die Industrie aber auf der Suche nach noch besseren Materialien. Jedes Jahr testen die Reifenfirmen Tausende von Mischungen verschiedenster Gummisorten, um daraus neue Autoreifen zu entwickeln. Aus diesen Gummimischungen werden dann Testreifen hergestellt, um ihre Eigenschaften auf dem Asphalt zu prüfen. Mit einer neuen Theorie zur Haftreibung ermöglicht es Bo Persson, die langen Testreihen enorm zu verkürzen.

„Alles was ich für meine Berechnungen an Informationen benötige, ist wie elastisch eine kleine rechteckige Gummiprobe ist und wie gut sie Stöße abfängt“, sagt Persson. „Ein ganzer Reifen muss nicht mehr produziert werden, um eine Aussage über die spätere Haftung auf dem Asphalt machen zu können. Im Jahr 2001 haben wir zehn neue Testkomponenten erst berechnet und dann in die ,Reifen-Praxis’ geschickt. Die Ergebnisse von Theorie und Praxis stimmten sehr gut überein.“ Ausschlag gebend für den Erfolg der neuen Theorie ist, dass Persson die Kontaktfläche zwischen Gummi und Asphalt exakter als bisher berechnen kann. Frühere Modelle bezogen nur eine gemittelte Rauhigkeit der Oberfläche ein. „Ich beziehe alle Längenskalen mit ein – vom Zentimeter bis hinunter auf Atomebene“, bestätigt Persson. Was die Theorie leistet, ist eine Vorhersage, welche Elastizität und Dämpfung die Gummimischung haben sollte, um eine optimale Haftung auf einer rauhen Oberfläche zu erzielen.

Einer der Haupteffekte, die es zu berechnen gilt, ist die Fähigkeit des Gummis, Stöße abzufangen. Physikalisch basiert diese Fähigkeit darauf, dass das Material in der Lage ist, Energie zu speichern. Drückt man ein weiches Material auf einen harten, unebenen Boden, wird es ungleichmäßig belastet: Steinchen und Hervorhebungen im Asphalt dellen den Reifen ein, an „Täler“ und Aussparungen hingegen wird sich das Gummi anschmiegen. Die Anschmiegung ist jedoch nicht perfekt – der Reifen ist ja nicht flüssig, sondern relativ stabil. Im Gegensatz zu Trockenreifen aus der Formel 1, die Harze ausdünsten und so tatsächlich Unebenheiten im Asphalt ausgleichen und die Kontaktfläche erheblich verbessern, sondern normale Autoreifen keine klebrige Flüssigkeit ab. Denn der Nachteil der guten Straßenlage für „Schumi“ & Co ist der hohe Reifenverschleiß. Diese Rennreifen laugen regelrecht aus.

Dort wo also das normale Reifenmaterial eingedellt wird, staut sich Energie auf, an anderer Stelle gibt es nach. Persson hat eine mathematische Beschreibung für die Unebenheiten des Asphalts gefunden, die diese theoretisch bis auf Atomebene herunter rechnet. Wichtig ist es hierbei zu wissen, wie groß die tatsächliche Fläche der gegenseitigen Berührung von Gummi und Asphalt ist und welche Kräfte auf das Material einwirken. Denn ein Reifen, der bei einer Vollbremsung unter der Last des Autos über den Asphalt geschoben wird, ist ganz anderen Kräften ausgesetzt als ein Reifen, der auf der Straße ruhig steht. Hier kommen neben den Unebenheiten der Straße auch die inneren Reibungskräfte des Materials zum Tragen. Dr. Bo Persson beschreibt das so: „Die Schroffheit des rauhen Untergrundes übt oszillierende Kräfte auf die Oberfläche des Gummis aus, was zu zyklischen Deformationen im Inneren des Materials führt. Es entstehen enorme innere Reibungskräfte und ein gewisser innerer Energiestau. Bei einer bestimmten Frequenz dieser Deformationen kann der Elastizitätsfaktor des Reifens 1000fach zunehmen. Dann ändert sich natürlich auch seine Bodenhaftung!“ Auch diese physikalischen Eigenheiten des elastischen Materials rechnet Persson mit ein.

Gesucht wird ein Mittelweg zwischen optimaler Anpassung an die Straße – einem weichen, anschmiegsamen Material – und einem möglichst haltbaren Reifen, der nicht bei der ersten Vollbremsung in Fetzen fliegt. Die neue Theorie hilft, dieses Material schneller als bisher ausfindig zu machen.

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Peter Schäfer idw

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