Multiple Sklerose: Neuer Marker könnte Diagnose zukünftig erleichtern

&quot;Im MS-Serum ist die Bindung des Autoantikörpers an die Zellmembran der Gliazellen deutlich erkennbar. Unten dazu im Vergleich eine Blutprobe eines Patienten mit einer anderen neurologischen Erkrankung.&quot; Quelle: KKNMS<br>

Multiple Sklerose (MS) sicher zu diagnostizieren, erfordert langjährige neurologische Erfahrung, da eine Vielzahl klinischer und paraklinischer Befunde bewertet und eingeordnet werden müssen. Manchmal ist eine eindeutige Diagnose erst nach Jahren möglich.

Ein neuer potenzieller Biomarker, der mittels Bluttest bestimmt wird, könnte zukünftig die Diagnosestellung vereinfachen. Einem Forscherteam des Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS) um Vorstandsmitglied Professor Dr. Bernhard Hemmer ist es gelungen, den Kaliumkanal KIR4.1 als Ziel von Autoantikörpern bei MS zu identifizieren.

„Bei fast der Hälfte der untersuchten MS-Patienten konnten wir einen Autoantikörper gegen KIR4.1 im Blut nachweisen“, erklärt Hemmer, der die Neurologische Klinik des Klinikums rechts der Isar der TU München leitet. Diese Beobachtung könnte darauf hinweisen, dass KIR4.1 ein wichtiges Ziel der Immunantwort bei MS ist. Die Forscher wären damit wieder einen Schritt weiter, die Erkrankung besser zu verstehen. Die Studienergebnisse sind heute in der renommierten Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht worden.

Kaliumkanäle sind beim Menschen an der Regulierung des Elektrolythaushalts beteiligt und damit auch an elektrischen Vorgängen in erregbarem Gewebe wie Nerven- und Muskelzellen. Menschen und Tiere, denen KIR4.1 fehlt, haben neurologische Ausfälle, das heißt, sie können z.B. Bewegungen nicht richtig koordinieren (Ataxie). Außerdem ist bei ihnen die Bildung des Myelins, der schützenden Isolierschicht um Nervenzellen, gestört. Das besondere an KIR4.1 ist, dass es sowohl im Zentralnervensystem (ZNS) als auch in den Nieren vorkommt. „Ähnliches trifft auch auf Aquaporin-4 (AQP4) zu“, sagt Hemmer.
Die Entdeckung eines spezifischen Autoantikörpers gegen AQP4 bei Neuromyelitis optica, einer Sonderform der MS, im Jahr 2004 führte dazu, dass diese Patienten nun schneller optimal behandelt werden. „Wir hoffen, dass KIR4.1 eine ähnliche Rolle für die MS spielen wird“, so der KKNMS-Experte weiter. Die Studienergebnisse sprechen dafür: Der Autoantikörper lässt sich vor allem im Blut von MS-Patienten nachweisen und nur sehr selten bei Menschen mit anderen neurologischen Erkrankungen (
Autoantikörper ist biologisch aktiv

KIR4.1 findet sich vor allem in der Zellmembran von Gliazellen, die für den Stoffwechsel im Gehirn und die Bildung der Markscheide verantwortlich sind. Die Forscher fanden heraus, dass der Autoantikörper genau dort an KIR4.1 bindet, wo das Protein aus der Zellmembran herausragt. Im Tiermodell führt der Autoantikörper zum Verlust von KIR4.1 und zur Aktivierung der Komplementkaskade, einem Teil der Antikörperantwort. „Der Autoantikörper ist also biologisch aktiv und trägt möglicherweise zur Schädigung in der MS-Läsion bei“, glaubt Hemmer.

Potenzieller diagnostischer Marker

In bereits eingeleiteten KKNMS-Folgestudien hoffen die Neurologen nun, herauszufinden, welche Bedeutung der Autoantikörper für die Entstehung der MS hat. „Darüber hinaus könnte der Autoantikörper zur Verbesserung der MS-Diagnostik beitragen und uns bei der Abgrenzung zu anderen neurologischen Erkrankungen unterstützen“, meint Hemmer abschließend. Auch dies wird Gegenstand weiterer Studien sein, um den Marker zukünftig auch in der Routinediagnostik nutzen zu können.

Die Studie wurde im Rahmen des KKNMS (Forschungsverbund CONTROLMS) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Der vollständige Forschungsbericht ist unter dem Titel „Potassium channel KIR4.1 as an immune target in multiple sclerosis“ im New England Journal of Medicine erschienen (DOI 10.1056/NEJMoa1110740).

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Constanze Steinhauser idw

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