Pflanzenverteidigung als Biotech-Werkzeug

acib-Forscherin Elisa Lanfranchi nimmt Farnproben im Wald acib

Verteidigungsstrategien sind nicht nur beim Schach oder Militär eine wichtige Sache, sondern auch in der Natur. Besonders Pflanzen sind Meister in dieser Disziplin. Einige Steinobst- oder Mandelbäume und Farne verteidigen ihre jungen Knospen gegen Fraßschädlinge mit Blausäure. Das Gift vertreibt den größten Feind. Verantwortlich dafür ist ein Enzym namens Hydroxynitrillyase (HNL), das molekular gespeicherte Blausäure freisetzen kann.

Was für die Pflanzen nützlich ist, ist auch in der Industrie gefragt. Hier macht man sich die umgekehrte Reaktion der HNL-Enzyme zunutze, die es erlaubt, Blausäure wieder an verschiedene Moleküle zu binden. Dadurch entsteht doppelter Nutzen.

Einerseits ermöglicht es, unerwünschte Blausäureabfälle zu verwerten, die zum Beispiel bei der Herstellung von Acrylnitril frei werden. Acrylnitril kommt nicht nur in Klebstoffen zum Einsatz, es ist auch Ausgangsmaterial für Polyacrylnitril oder „Polyacryl“, eine wichtige Faser für Textilien.

Andererseits gewinnt man mit HNL-Enzymen wertvolle Bausteine für pharmazeutische Wirkstoffe oder die Vitamin-Synthese. Der industriellen Anwendung kommt zugute, dass die HNL-Enzyme extrem spezifisch sind. Im Idealfall macht man also aus billigen (oder giftigen) Vorstufen ungiftige und wertvolle Produkte.

Erste HNL-Enzyme wurden Mitte der 1990er-Jahre erfolgreich an der TU Graz entwickelt und später industriell eingesetzt. Die neuen Möglichkeiten in der Synthese von hochwertigen Produkten hat das industrielle Interesse erst richtig geweckt.

Die frühen Enzyme können freilich nicht alle Anforderungen erfüllen, man sucht also nach neuen HNL-Biokatalysatoren. Im Rahmen des EU-Projekts Kyrobio, bei dem es um Herstellungswege für neue Moleküle geht, haben acib-ForscherInnen erfolgreich nach diesen Biowerkzeugen Ausschau gehalten.

Enzymaktivität riechen

Fündig wurden die ForscherInnen Margit Winkler, Elisa Lanfranchi und Anton Glieder im Hasenfußfarn. Dass der Farn dieses Enzym nutzt, haben die Forscher quasi erschnuppert. „Wenn man einen jungen Farnwedel zwischen den Fingern zerreibt, riecht es nach Blausäure und Benzaldehyd (ähnlich wie Marzipan), sofern dieses Enzym aktiv ist“, erklärt Margit Winkler, „wir haben in den Wäldern Nachschau gehalten und im Handel“.

In dreieinhalb Jahren haben die acib-Forscherinnen in Graz in Frage kommende Enzyme unter die Lupe genommen, deren Struktur untersucht, die Biokatalysatoren biotechnologisch hergestellt und auf ihre Aktivität getestet. Letztendlich waren die Enzyme eines kommerziellen Hasenfußfarns aus dem Baumarkt die vielversprechendsten. Der steirische Adlerfarn zeigte ebenfalls Aktivität und wird genauer erforscht.

Das neue Enzym hat eine ausgesprochen hohe Aktivität, obwohl es noch nicht einmal optimiert sei. „Unsere Farn-HNL ist effizienter und auch einfacher zu handhaben als die bisher verwendeten, weil es ein kleines, unkompliziertes Enzym ist“, sagt Prof. Anton Glieder (TU Graz und acib). Ideale Voraussetzungen also für die Industrie. Das Anwendungsspektrum ist riesig: Es reicht vom Pflanzenschutz bis zur Produktion von Repellents gegen Gelsen und Co.

Die acib-Methode zum Entdecken neuer Enzymaktivitäten in der Natur wurde eben im Journal Current Biotechnology veröffentlicht: http://goo.gl/6ZAWqt

Über acib
Das Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) ist ein internationales Forschungszentrum für industrielle Biotechnologie mit Standorten in Wien, Graz, Innsbruck, Tulln, Hamburg und Bielefeld (D), Pavia (I), Barcelona (E) und Rzeszow (P). Das acib versteht sich als internationales, wissenschaftlich-industrielles Netzwerk von 130+ Partnern, darunter Biomin, Boehringer Ingelheim RCV, DSM, Lonza, Sandoz oder VTU Technology.
Beim acib forschen und arbeiten 200+ Beschäftigte an mehr als 70 Forschungsprojekten, bei denen es darum geht, herkömmliche industrielle Prozesse und Produkte durch umweltfreundlichere und wirtschaftlichere Zugänge zu ersetzen.
Eigentümer sind die Universität für Bodenkultur Wien, die TU Graz, die Universitäten Innsbruck und Graz sowie Joanneum Research. Öffentliche Fördermittel bekommt das acib von der Forschungsförderungsgesellschaft der Republik Österreich (FFG), der Standortagentur Tirol, der Steirischen Wirtschaftsförderung (SFG), dem Land Niederösterreich und der Wirtschaftsagentur der Stadt Wien.

Rückfragen
DI Dr. Margit Winkler, acib, +43 316 873 9333, margit.winkler@acib.at
DI Thomas Stanzer MA, public relations/acib GmbH, +43 316 873 9312, thomas.stanzer@acib.at

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