Haareis – Winterrätsel im Wald und ein biopysikalisches Phänomen

Haareis im Laubwald Sven Gaedtke

Die überaus feinen Eiskunstwerke formt keine Menschenhand, sie bilden sich unter den richtigen Bedingungen ganz natürlich. Auch wenn es nicht die Fruchtkörper eines seltenen Pilzes sind: ein unscheinbarer Pilz ist dennoch eine wichtige Voraussetzung für das Entstehen von Haareis, so die Spezialisten der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF).

Das Phänomen entsteht nur auf abgestorbenen, feuchten Ästen von Laubbäumen, die von den Pilzfäden der Rosagetönten Gallertkruste (Exidiopsis effuso) durchwachsen sind – und das nur unter ganz speziellen Witterungsverhältnissen.

Voraussetzung ist, dass nach einer Regenphase die Lufttemperatur gerade so um den Gefrierpunkt liegt. Der Pilz ist winteraktiv und atmet. Die Gase seines Stoffwechsels verdrängen das im Totholz vorhandene, leicht unterkühlte Wasser an die Oberfläche. Dort gefriert es nun aber zu Eis und wird durch nachdrängende, beim Austritt aus den feinen Holzporen ebenfalls gefrierende Wasser weitergeschoben. Das kann man sich wie das Herausquellen der Zahnpasta aus der Tube vorstellen, auf die man unten drückt.

Diese Eisform wächst also nicht wie ein Eiszapfen am Ende, sondern von seiner Basis her. Die Eishaare sind mit etwa 0,02 Millimeterdünn wie Menschenhaar und bilden sich mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit. Bei 5 bis 10 Millimetern pro Stunde kann so ein Eiskunstwerk über Nacht entstehen, vorausgesetzt, es wird genügend Wasser aus dem Totholz nachgeliefert.

Schon im frühen 19. Jahrhundert versuchen Naturkundler das Rätsel des Haareises zu lösen. 1918 beschäftigte sich auch der berühmte Polarforscher Alfred Wegener mit dieser merkwürdigen Erscheinung. Er erkannte, dass Pilze eine entscheidende Rolle bei der Bildung von Haareis spielen müssen. Aber erst 2008 gelang es Forschern aus Bern und Jülich die Prozesse, die das Haareis verursachen, weitestgehend zu entschlüsseln. Die genauen chemischen und physikalischen Prozesse bleiben dabei aber auch weiterhin noch ungeklärt.

Aber warum macht der Pilz das? Die Rosagetönte Gallertkruste schert sich wohl wenig um die Schönheit seiner Eisskulptur. Vielmehr dürfte der Vorgang dem Baumpilz als eine Art Frostschutzmittel dienen. Denn das Wasser gefriert nicht im Ast, dem Lebensraum des winteraktiven Pilzes, sondern außerhalb. Zudem wird durch die Energie, die beim Vorgang des Gefrierens frei wird, der Ast etwas wärmer als seine Umgebung.

Lange ist das Naturkunstwerk aber nicht zu bestaunen: Wenn die meteorologischen Rahmenbedingungen sich auch nur geringfügig ändern, verschwindet es wieder.

http://www.lwf.bayern.de/service/presse/181800/index.php Pressemitteilung: Haareis – Zuckerwatte, komischer Pilz oder was?

Media Contact

Johann Seidl idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Das Mikrobiom verändert sich dynamisch und begünstigt wichtige Funktionen für den Wirt

Ein interdisziplinäres Forschungsteam des Kieler SFB 1182 untersucht am Beispiel von Fadenwürmern, welche Prozesse die Zusammensetzung des Mikrobioms in Wirtslebewesen steuern. Alle vielzelligen Lebewesen – von den einfachsten tierischen und…

Wasser im Boden – genaue Daten für Landwirtschaft und Klimaforschung

Die PTB präsentiert auf der Woche der Umwelt, wie sich die Bodenfeuchte mithilfe von Neutronenstrahlung messen lässt. Die Bodenfeuchte hat nicht nur Auswirkungen auf die Landwirtschaft, sondern ist als Teil…

Bioreaktor- und Kryotechnologien für bessere Wirkstofftests mit humanen Zellkulturen

Medizinische Wirkstoffforschung… Viele Neuentwicklungen von medizinischen Wirkstoffen scheitern, weil trotz erfolgreicher Labortests mit Zellkulturen starke Nebenwirkungen bei Probanden auftreten. Dies kann passieren, wenn zum Beispiel die verwendeten Zellen aus tierischem…

Partner & Förderer