Süße Hilfe bei Entzündungen – Zuckermoleküle für die Bewegung von Immunzellen nötig

Die Auswanderung findet als sogenannte Leukozytenrekrutierung auch bei Entzündungen statt. Dabei binden sich die Blutkörperchen über Adhäsionsmoleküle an die Gefäßwand. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Professor Markus Sperandio vom Walter Brendel Zentrum für Experimentelle Medizin der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München hat nun die Rolle spezifischer Zuckermoleküle bei diesem Vorgang untersucht.

Die Zuckerketten werden an Adhäsionsmoleküle angehängt und verändern deren Funktion. Wie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Journal of Experimental Medicine“ berichtet, konnten die Forscher erstmals im lebenden Gewebe nachweisen, dass dieser Vorgang auch für die Leukozytenadhäsion an entzündlich veränderte Gefäßwände wesentlich ist.

„Es ist vor allem ein bestimmtes Membranmolekül, das modifiziert sein muss“, berichtet Sperandio. „Unsere Arbeit wird wohl nicht nur weitere Untersuchungen zur Funktion der Zuckermoleküle anregen, sondern könnte auch einen interessanten Angriffspunkt zur Behandlung akuter und chronischer Entzündungsprozesse liefern.“

Leukozyten sind die Vorhut des Immunsystems und patrouillieren auf der Suche nach Bakterien, Viren, Parasiten, aber auch Toxinen und Krebszellen frei im Körper. Eine Gruppe von Leukozyten, die neutrophilen Granulozyten, wird bei entzündlichen Vorgängen rekrutiert. Die Zellen werden über das Blut transportiert, müssen dann aber die Wände der Blutgefäße überwinden, um in das Gewebe zu gelangen.

Diese Auswanderung verläuft in vier Teilschritten. Zunächst treten die Leukozyten in engen Kontakt mit der Gefäßwand. Dann rollen sie an ihr entlang und werden dabei in einem weiteren Schritt aktiviert mit der Folge, dass sie fest an die Gefäßwand binden. Erst dann durchwandern die Leukozyten die Gefäßwand und dringen in das umgebende Gewebe ein.

„Alle Teilschritte hängen von sogenannten Adhäsionsmolekülen an der Zelloberfläche und deren molekularen Partnern in der Gefäßwand ab“, so Sperandio. „Sie gewährleisten die Bindung der Leukozyen an die Gefäßwand. Interessant und noch wenig erforscht ist die Rolle bestimmter Zuckermoleküle bei diesem Prozess. Man weiß bereits, dass unterschiedlich lange Zuckerketten während der Herstellung von Adhäsionsmolekülen an diese angehängt werden. Sie sind dann nicht selten für die Funktion der Glykoproteine, also der modifizierten Moleküle, wesentlich.“ Dies kann sogar bedeuten, dass das Oberflächenprotein einer Zelle ohne zusätzliche Glykosylierung, also die Modifikation durch Zuckermoleküle, seine Funktion nicht mehr erfüllen kann.

So ist bekannt, dass dieser Vorgang bedeutsam ist für eine Familie von Adhäsionsmolekülen, die Selektine. Diese Oberflächenmoleküle vermitteln das Rollen der Leukozyten. „Uns ist nun erstmals gelungen, die Bedeutung der Glykosylierung für die feste Anhaftung von Leukozyten an entzündlich veränderte Gefäßwände in lebenden Mäusen nachzuweisen,“ so Sperandio. „Das gilt in erster Linie für den Fall, dass die weißen Blutkörperchen duch Chemokine, also bestimmte Botenstoffe des Immunsystems, rekrutiert werden.“ Ein Molekül scheint dabei eine besonders wichtige Rolle zu spielen: Der Chemokinrezeptor CXCR2 an der Oberfläche neutrophiler Granulozyten muss mit spezifischen Zuckern, den Sialinsäuren, modifiziert sein. Erst dann wird das durch die Bindung von Chemokinen ausgelöste Signal für eine Entzündung in eine feste Leukozytenadhäsion umgesetzt.

Diesen Nachweis ermöglichte ein spezielles Intravitalmikroskop, das die Beobachtung biologischer Prozesse in lebenden Organismen erlaubt und an der LMU im Rahmen des „BioImaging Network Munich (BIN)“ einen methodischen Schwerpunkt bildet. Weiterführende Untersuchungen in Sperandios Labor deuten darauf hin, dass auch andere wesentliche Funktionen der Immunabwehr durch spezifische Zuckermodifikationen gesteuert werden. „Insgesamt wird unsere Arbeit sicher zur weiteren Aufklärung der genauen Funktion von Zuckermodifikationen anregen – vor allem in Zusammenhang mit Chemokinrezeptoren“, meint der Mediziner. „Daneben könnten unsere Ergebnisse aber auch der Ausgangspunkt sein für die Therapie von akuten und chronischen Entzündungsprozessen, vor allem wenn CXCR2 dabei eine Rolle spielt.“

Publikation:
„Sialyltransferase ST3Gal-IV controls CXCR2-mediated firm leukocyte arrest during inflammation“,
David Frommhold, Andreas Ludwig, M. Gabriele Bixel, Alexander Zarbock, Inna Babushkina, Melitta WEissinger, Sandra Cauwenberghs, Lesley G. Ellies, Jamey D. Marth, Annette G. Beck-Sickinger, Michael Sixt, Bärbel Lange-Sperandio, Alma Zernecke, Ernst Brandt, Christian Weber, Dietmar Vestweber, Klaus Ley, and Markus Sperandio,

Journal of Experimental Medicine, 9. Juni 2008, B. 205, Nr. 6, S. 1435-1446

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Markus Sperandio
Walter Brendel Zentrum für Experimentelle Medizin
Tel.: 089 / 2180 – 76505
Fax: 089 / 2180 – 76532 / – 76503
E-Mail: markus.sperandio@med.uni-muenchen.de

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Luise Dirscherl idw

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