Babys mit Akzent

Die Schreimelodien französischer (links) und deutscher (rechts) Babys unterscheiden sich deutlich in der Akzentuierung. Bild: MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften<br>

Schon in den ersten Tagen ihres Lebens schreien französische Säuglinge anders als deutsche. Das ergab eine Untersuchung von Forschern des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, des Zentrums für vorsprachliche Entwicklung und Entwicklungsstörungen (ZVES) am Universitätsklinikum Würzburg sowie des Laboratoire de Sciences Cognitives et Psycholinguistique der Ecole Normale Supérieure in Paris.

Dabei verglichen die Wissenschaftler Tonaufnahmen von je 30 französischen und deutschen Säuglingen im Alter zwischen zwei und fünf Tagen. Während die französischen Neugeborenen häufiger ansteigende Schreimelodien produzierten, schrien kleine Deutsche eher mit fallender Tonhöhe. Der Grund dafür sind vermutlich unterschiedliche Betonungsmuster in den beiden Sprachen, die bereits im Mutterleib wahrgenommen und später reproduziert werden. (Current Biology, 5. November 2009)

Im letzten Drittel der Schwangerschaft entwickeln sich menschliche Föten zu aufmerksamen Zuhörern. „Der Hörsinn ist das erste sensorische System, das sich ausbildet“, sagt MPI-Direktorin Angela Friederici. „Besonders die Stimme der Mutter wird schon früh wahrgenommen.“ Allerdings hört ein Fötus im Mutterleib durch das ihn umgebende Fruchtwasser nur eingeschränkt. „Was durchdringt, sind vor allem Melodie und Intonation der jeweiligen Sprache.“ Schon 2007 hatte ein Forscherteam um Friederici nachgewiesen, dass die Betonungsmuster der jeweiligen Muttersprache bereits bei vier Monate alten Säuglingen im Gehirn abgespeichert sind.

Zwischen Deutsch und Französisch bestehen dabei besonders große Unterschiede: „Im Französischen werden sehr viele Wörter zum Ende hin betont, so dass die Sprachmelodie ansteigt, im Deutschen ist es meist umgekehrt“, erklärt Friederici. Das französische „Papá“ wird beispielsweise im Deutschen „Pápa“ betont. Ein Einfluss auf die aktive Lautproduktion von Neugeborenen galt bisher jedoch als unwahrscheinlich, da man annahm, dass ihre „Schreimelodie“ wie bei Schimpansenjungen allein durch Aufbau und Abfallen des Atemdrucks bestimmt sei und nicht vom Gehirn beeinflusst werde. Ein Irrtum, wie die Analyse von mehr als 20 Stunden Babygeschrei aus deutschen und französischen Geburtsstationen nun erstmals zeigt. Wie die Schreianalysen unter Leitung der Psychologin Kathleen Wermke am ZVES ergaben, produzierten die Neugeborenen diejenigen Melodiemuster bevorzugt, die für ihre jeweiligen Muttersprachen typisch sind. Die Schreimelodie der deutschen Säuglinge begann meist laut und hoch und folgte dann einer abfallenden Kurve, die französischen Säuglinge schrien dagegen öfter in ansteigenden Melodien.

Die frühe Sensibilität für sprachmelodische Eigenschaften könnte den Säuglingen später beim Erlernen ihrer Muttersprache helfen, so die Forscher. „Wenn sie beginnen, erste Sprachlaute zu formen, können sie auf den bereits bekannten Melodiemustern aufbauen und müssen dadurch nicht bei Null anfangen“, sagt die Neuropsychologin. Die evolutionären Wurzeln dieses Verhaltens liegen nach Ansicht der Forscher jedoch noch weit vor der Entstehung der gesprochenen Sprache. „Die Imitation von Lautmelodien entwickelte sich über Millionen von Jahren und trägt in den frühen Lebenstagen wahrscheinlich zur Mutter-Kind-Bindung bei“, so Friederici.

Originalveröffentlichung:

Birgit Mampe, Angela D. Friederici, Anne Christophe, Kathleen Wermke
Newborns’ cry melody is shaped by their native language
Current Biology, 5. November 2009
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Prof. Dr. Angela D. Friederici
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
Tel.: 0049 341 9940-112
E-Mail: angelafr@cbs.mpg.de
Dr. Christina Schröder
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
Tel.: 0049 341 9940-132
E-Mail: cschroeder@cbs.mpg.de

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Barbara Abrell Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

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