Ein Netzwerk für Bildung und Verantwortung

„Service Learning“ heißt das Stichwort. In den USA ist die neue Form des Lehrens und des Lernens seit Langem fester Bestandteil im Campus-Alltag. Jurastudenten beraten kostenlos bei Rechtsstreitigkeiten; angehende Lehrer bilden Hausaufgabenhelfer unter Grundschülern aus; Psychologie-Studierende unterstützen Streitschlichter.

Spezielle Büros kümmern sich um Dozenten und beraten sie bei der Integration von Service Learning-Angeboten in ihre Lehre. Studierende können sich dort Tipps für ihr ehrenamtliches Engagement holen. Bisweilen arbeiten in den entsprechenden Büros 20 und mehr Mitarbeiter.

Ehrenamtliches Engagement als fester Bestandteil des Studiums

Von solchen Verhältnissen ist Deutschland noch weit entfernt. Damit sich dies ändert, haben die Universitäten Duisburg-Essen, Erfurt, Mannheim, Würzburg und des Saarlandes sowie die Fachhochschule Erfurt am 9. März in der Würzburger Residenz das deutsche Hochschulnetzwerk „Bildung durch Verantwortung“ gegründet. Ziel des Netzwerks ist es, Service Learning an deutschen Hochschulen zu etablieren.

„Service Learning ist eine Kombination aus gesellschaftlichem Engagement von Studierenden und dem fachlichen Lernen im Seminar“, erklärte der Würzburger Bildungsforscher Professor Heinz Reinders in seiner Ansprache im Rahmenprogramm der Vertragsunterzeichnung. Konkret bedeutet das: Eingebettet in den jeweiligen Lehrplan bekommen die Studierenden in ihren Seminaren Wissen vermittelt, das sie parallel dazu in konkreten Projekten real anwenden können.

So erhielten beispielsweise die Teilnehmer von Reinders' Seminar „Evaluation pädagogischer Maßnahmen“ das theoretische Rüstzeug, mit dem sie die Arbeit einer Kinderkrippe beurteilen können. Anschließend zogen sie los und setzten das neue erworbene Wissen im Auftrag einer pädagogischen Einrichtung in die Tat um. Oder: Im Seminar „Sprachförderung bei Migranten“ lernten die Teilnehmer, wie sie ein Sprachtraining konzipieren und dessen Erfolg anschließend überprüfen können. In Grundschulen oder Kindertagesstätten in der Region übertrugen sie die Theorie in die Praxis.

Alle Beteiligten profitieren von Service Learning

„Service Learning verknüpft kognitives Lernen mit dem Aspekt der Persönlichkeitsbildung“, erklärte Reinders. Die Studierenden erhielten gleichzeitig methodische und soziale Kompetenz; sie würden dazu angehalten, „Verantwortung zu übernehmen und sich als sozial engagierte, verantwortungsbewusste Menschen zu erweisen.“ Und alle Beteiligten könnten davon profitieren:

„Die Träger pädagogischer Programme profitieren davon, weil sie kostenlos die Ressourcen bekommen, die sie benötigen, um ihre Programme oder Maßnahmen zu optimieren“, so Reinders. Und den Studierenden bringt das Angebot ebenfalls Vorteile: „Internationale Studien zeigen, dass die Seminarteilnehmer das vermittelte Wissen besser verstehen und anwenden können, wenn sie es praktisch einsetzen“. Auch seien sie anschließend stärker für gesellschaftliches Engagement und die eigene soziale Verantwortung sensibilisiert.

Die Geschichte von Service Learning in Deutschland

Die Geschichte von Service Learning in Deutschland ist vergleichsweise jung: „Im Jahr 2003 fand an der Universität Mannheim bei Professor Manfred Hofer die erste Veranstaltung dieser Art an einer deutschen Hochschule statt“, erklärte Reinders. Das Angebot sei bei den Studierenden damals so gut angekommen, dass sie im Anschluss daran die Initiative „campus aktiv“ gründeten mit dem Ziel, weitere Service-Learning-Veranstaltungen an ihrer Uni zu installieren.

In einer Art „Schneeballeffekt“ hätten in den Folgejahren immer mehr Hochschulen ähnliche Angebote in ihren Vorlesungs-Katalog aufgenommen, teilweise sogar als Pflichtmodul in ihren Bachelor- und Masterstudiengängen; ähnliche Vereine wie campus aktiv seien gegründet worden, die Universität Mannheim habe eigens eine Koordinationsstelle eingerichtet.

Hochschulen engagieren sich für die Zivilgesellschaft

„Noch ist die Institutionalisierung in Deutschland nicht weit vorangetrieben“, monierte der deutsche „Vater“ des Service Learnings, Manfred Hofer, in seiner Rede im Toscanasaal der Residenz von Würzburg. Vieles trage noch „den Charakter des Zufälligen und Ungeplanten“. Dies werde sich jedoch mit der Netzwerkgründung ändern, hofft Hofer.

„Wir werden das zivilgesellschaftliche Engagement der Hochschulen auf eine breite Basis stellen“, versprach der emeritierte Professor aus Mannheim. Mit der Organisation regelmäßiger Tagungen und Workshops, mit dem Austausch von Materialien und mit Forschungsprojekten werde das Netzwerk eine „endemische Wirkung“ entfalten und erfolgreiche Konzepte quer durch das Land verteilen.

Zum Abschluss des Festakts in Würzburg unterzeichneten Vertreter der Universitäten Duisburg-Essen, Erfurt, Mannheim, Würzburg und des Saarlandes den Gründungsvertrag für das „Hochschulnetzwerk Bildung durch Verantwortung“.

Der Präsident der Universität Würzburg, Axel Haase, begrüßte den Zusammenschluss: „Es ist immer erfreulich, wenn Menschen sich engagieren“, sagte Haase. Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, sei gerade für Hochschulabsolventen, die später vielleicht einmal Führungspositionen übernehmen, unverzichtbar. Dies zeige sich aktuell ganz besonders deutlich: „Ein stärker ausgeprägtes Verantwortungsgefühl hätte uns möglicherweise die Finanzkrise erspart“, so Haase.

Ein Lehrangebot für alle Studienfächer

Natürlich ist Service Learning kein Angebot ausschließlich für soziale oder pädagogische Fächer. „Service Learning ist in jedem Studiengang denkbar“, sagt Heinz Reinders. So könnten Informatik-Studierende beispielsweise Datenbanken oder den Web-Auftritt für die örtliche Kinderschutzbund-Gruppe erstellen, Biologie- oder Chemiestudierende Umweltschutzmaßnahmen begleiten, BWL-Studierende Businesspläne für die Träger karitativer Einrichtungen schreiben.

Neue Studie bestätigt Vorteile von Service Learning

Den höheren Wissenszuwachs bestätigt auch eine neue Studie, die Reinders jüngst publiziert hat – die erste Studie dieser Art in Deutschland. 116 Studierende haben daran teilgenommen – 31 von ihnen besuchten im Wintersemester 2007/08 Service-Learning-Seminare; die übrigen nahmen an konventionellen Veranstaltungen – Vorlesungen, Übungen, Praxisseminaren – teil.

Das Ergebnis: Insbesondere in den Kategorien „Sozialklima“ und „Subjektives Wissen“ übertrafen die Service-Learning-Seminare die anderen Veranstaltungen deutlich. Oder anders formuliert: Die Teilnehmer fühlen sich im Service-Learning-Seminar deutlich besser als ihre Kommilitonen; mit dem dort vermittelten Stoff kennen sie sich nach eigener Einschätzung ebenfalls besser aus als die Besucher der traditionellen Veranstaltungen.

Kontakt:
Prof. Dr. Heinz Reinders, Tel.: (0931) 3 18 55 63,
E-Mail: bildungsforschung@uni-wuerzburg.de

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Gunnar Bartsch idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-wuerzburg.de

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