Finanzierungslücke der Pflegeversicherung bedroht Pflegeheime

Die Soziale Pflegeversicherung (SPV) steuert auf einen Finanzierungsengpass zu. Ihre Ausgaben übersteigen seit Jahren die Einnahmen, ihre Kapitalreserve ist bald aufgebraucht. Vor diesem Hintergrund hat das RWI Essen gemeinsam mit der ADMED GmbH und HPS Research die Zukunft der deutschen Pflegeheime in einer Studie untersucht. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass ein Mix aus Maßnahmen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite der Pflegeversicherung nötig ist, um diese zu stabilisieren und auch in Zukunft ein ausreichendes Maß an stationärer Pflege in Deutschland zu gewährleisten.


Bis zum Jahr 2020 wird die Zahl der benötigten stationären Pflegeplätze in Deutschland wegen der alternden Bevölkerung im Vergleich zu 2005 voraussichtlich um 30 Prozent zunehmen. Absolut bedeutet dies mehr als 200 000 zusätzliche stationär Pflegebedürftige. In der ambulanten Pflege ist mit einer Zunahme von über 350 000 Fällen zu rechnen. Gleichzeitig übersteigen die Ausgaben der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) seit 1999 deren Einnahmen. Die derzeitige Kapitalreserve von rund drei Milliarden Euro dürfte 2008 aufgebraucht sein, ein wachsender Finanzierungsengpass droht. RWI Essen, ADMED GmbH und HPS Research haben in einer Studie die Zukunft der Pflegeheime vor dem Hintergrund dieses Finanzierungsengpasses untersucht und schlagen einen Mix von Maßnahmen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite vor, um die Finanzierung der stationären Heimpflege über das Jahr 2008 hinaus zu sichern.

Grundlage der Studie sind 116 Jahresabschlüsse von 508 Pflegeheimen sowie Daten von etwa 10 000 stationären Pflegeeinrichtungen, die unter anderem Rückschlüsse auf regionale Unterschiede bezüglich der Preisniveaus, der Pflegeheimgrößen und des Personalaufwands pro Pflegeplatz ermöglichen. Dabei zeigt sich beispielsweise, dass bis 2020 der Bedarf an zusätzlichen Pflegeplätzen in Ostdeutschland besonders hoch sein wird. Zudem ist die Heimunterbringung in Westdeutschland teurer als in Ostdeutschland, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, Bremen, Hamburg, dem Rhein-Main-Gebiet und Teilen Baden-Württembergs. Dabei steigt das Preisniveau der untersuchten Heime mit der Heimgröße, der Personalintensität und dem vor Ort verfügbaren Einkommen je Einwohner.

16 Prozent der untersuchten Pflegeheime weisen erhöhte Insolvenzgefahr auf

In einem Rating wurde zudem die Ausfallwahrscheinlichkeit der untersuchten Pflegeheime berechnet. Sie beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Pflegeheim innerhalb eines Jahres seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann und Insolvenz anmelden muss. Hierbei wird in den „grünen“ (0 bis 1,0 Prozent), den „gelben“ (1,0 bis 2,6 Prozent) und den „roten“ Bereich (größer als 2,6 Prozent) unterteilt. Aktuell fallen 19,8 Prozent der untersuchten Pflegeheime in den „gelben“ und 15,5 Prozent in den „roten“ Bereich. Auffällig ist, dass vor allem große und teure Heime gut abschneiden.

Untersucht werden fünf Maßnahmen, um die Finanzlage der SPV zu stabilisieren (verschärfte Kriterien zur Inanspruchnahme der Leistungen der SPV, Erhöhung der SPV-Beiträge, Reduktion der Pflegesätze/höhere Eigenbeteiligung, stärkerer Wettbewerb zwischen Pflegeheimen sowie Umstellung der SPV auf ein Kapitaldeckungsverfahren) und ihre Auswirkungen auf das Rating der untersuchten Pflegeheime, die Beitragssätze und die Pflegebedürftigen. Dabei zeigt sich, dass außer der Umstellung auf ein Kapitaldeckungsverfahren keine Maßnahme geeignet ist, um den Finanzierungsengpass der SPV mit vertretbaren Folgen zu beheben. Beispielsweise würde die Verschärfung der Kriterien im notwendigen Maße viele Pflegebedürftige völlig unversorgt lassen. Höhere SPV-Beiträge würden die jüngeren Generationen einseitig belasten und die Lohnnebenkosten zusätzlich erhöhen. Alternativ müssten, um die Finanzlage der SPV zu stabilisieren, die Pflegesätze bis 2020 um mehr als 20 Prozent abnehmen oder die Preise der Pflegeheime um 28 Prozent sinken. Dies würde bis 2020 rund 60 Prozent der Heime in den „roten“ Bereich führen.

Mix von Maßnahmen könnte die Pflegeversicherung stabilisieren

Die totale Umstellung der SPV auf ein Kapitaldeckungsverfahren scheint allerdings politisch nicht durchsetzbar, weshalb in der Studie ein Mix der Maßnahmen empfohlen wird. Die Kriterien zur Inanspruchnahme von Leistungen sollten leicht verschärft und die Beiträge leicht erhöht werden. Gleichzeitig sollten die Pflegesätze leicht reduziert und der Wettbewerb zwischen Leistungsanbietern gestärkt werden, so dass es zu einer Preisreduktion bei Pflegeheimen kommt. Zudem sollte schrittweise eine zusätzliche private Vorsorge aufgebaut werden. Um in einem stärkeren Wettbewerb bestehen zu können, sollten die Pflegeheime selbst sich neu ausrichten und Teil einer sektorübergreifenden Gesundheitsversorgung werden, die Krankenhäuser, Rehakliniken, niedergelassene Ärzte und den Immobiliensektor einschließt. Die Bildung von Pflegeheimketten und die Segmentierung der Pflegeleistungen auf bestimmte Patientengruppen könnten weitere Bestandteile wirtschaftlicheren Arbeitens sein.

Ihre Ansprechpartner:
Dr. Boris Augurzky (RWI Essen) Tel.: (0201) 8149-203
Dr. Sebastian Krolop (ADMED GmbH) Tel.: (0221) 179 3010
Sabine Weiler (Pressestelle RWI Essen) Tel.: (0201) 8149-213

Dieser Pressemitteilung liegt die Studie „Pflegeversicherung, Ratings und Demografie – Herausforderungen für deutsche Pflegeheime“ zugrunde. Das Executive Summary ist unter www.rwi-essen.de/presse als pdf-Datei erhältlich. Die komplette Studie kann für 100 Euro inkl. MwSt. beim RWI Essen, der ADMED GmbH oder bei HPS Research bestellt werden.

RWI Essen und ADMED GmbH haben gemeinsam bereits mehrere Gutachten im Gesundheitsbereich erstellt, in jüngster Zeit unter anderem den „Krankenhaus Rating Report 2006“ und eine Studie zu den Auswirkungen einer Grippepandemie auf den deutschen Krankenhaussektor. HPS Research veröffentlicht halbjährlich den Gesundheitsreport.

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Joachim Schmidt idw

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